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Der 8. Februar (German Edition)

Der 8. Februar (German Edition)

Titel: Der 8. Februar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeron North
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Vielleicht glaubte sie, ich würde den Becher nicht zurückbringen. Ein paar von uns gingen in den angrenzenden Wald und fanden Blaubeeren, während andere Kartoffeln im Keller entdeckten. Mit diesen Zutaten machten wir uns Kartoffelpfannkuchen und gaben die Blaubeeren oben drauf.
       Gemeinsam warteten wir auf die nächsten Befehle. Wo werden sie uns hinbringen?, fragte ich mich, doch keiner kannte die Antwort. Jeden Tag hatten wir aufs Neue Hunger und das Einschlafen wurde fast unmöglich. Nach einer Woche kam es zu einer unerwarteten Wende des Schicksals. Die Wachen waren plötzlich verschwunden, als wir morgens aufwachten. Was hatte das zu bedeuten? Es blieb still, wir blickten uns um, aber es war keine Wache zu sehen. Nach einer kurzen Besprechung beschlossen die Heidauer, wieder nach Hause zu gehen.
       Unsere Karren waren mittlerweile nicht mehr zu gebrauchen. Krause bot Mama an, dass wir alle unser Gepäck auf seinen Wagen laden sollten. Das machten wir auch und Mama zog mit Krause vorn am Wagen, während Ruth und ich hinten schoben. Ursula lief, so gut sie konnte, und saß manchmal auch auf dem Wagen. Keiner brauchte den anderen anzutreiben, niemand übernahm das Kommando. Als jeder sein Bündel gepackt und die Gruppe sich versammelt hatte, verließen wir das Schloss in Richtung Straße. Es gab kein einziges Fahrzeug weit und breit, das wir hätten benutzen können. Wir liefen zuerst auf der Landstraße. Der Großteil unseres Weges verlief aber auf der Autobahn Bunzlau – Liegnitz, zusammengenommen war es ein Fußmarsch von sechzig Kilometern, der längste Weg meines Lebens. Links und rechts der breiten Straße herrschte eine ungewohnte Leere. Auf den Wiesen gab es keine Kühe, keine Schafe. Selbst die Vögel hatten die Gegend verlassen, und so wurde der Tag sehr lang und schmerzhaft für alle. Es war heiß, wir hatten kein Wasser und keine Verpflegung, Stunde um Stunde liefen wir ohne Worte in Richtung Liegnitz mit Blasen an den Füßen, verschrammten Händen und Rückenschmerzen. Ich hatte ein paar sehr schlechte Schuhe an, die ich zeitweise auszog, Besserung gab es aber dadurch nicht.
       Wir gingen ohne Rast aus Angst, wir könnten nicht mehr aufstehen, weil uns die Kraft dazu fehlte. Auch jetzt übernahm keiner die Führung, wir wussten alle, worauf es ankam, und niemand murrte oder beschwerte sich. Einige waren an dem Punkt angekommen, an dem es ihnen gleichgültig war, ob sie lebend ankommen würden oder nicht. Es wurde nicht darüber gesprochen, und so erkämpften wir uns Meter um Meter auf der endlos erscheinenden heißen Straße. Ursel Tomczak lief wieder mit uns, genau wie auf dem Hinweg. Unterwegs fanden wir ein paar unreife Äpfel, die schnell verspeist wurden. Das war jedoch ein Fehler, denn die betreffenden Leute bekamen Durchfall und verloren noch mehr an Flüssigkeit. Die ältesten unter uns taten ihr Bestes und schleppten sich mit letzter Kraft ans Ziel. Ein Teil der Gruppe übernachtete vor Liegnitz, Mama schloss sich mit uns aber unseren Nachbarn an, die zwischenzeitlich zu unseren Freunden geworden waren.
       Unsere Eltern hatten als Zugezogene mit den Heidauern sonst keinen Kontakt gehabt. Außer dem Bürgermeister Gruhn, dem Ortsbauernführer Köhler und Justs kannten sie niemand. Wir beeilten uns das letzte Stück Weg, damit wir vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause kamen. Wir hatten begründete Angst vor Überfällen.
       Todmüde kamen wir in Oberheidau an und wurden von der Familie Rauer aufgenommen, die ein Nachtlager aus Stroh im Obergeschoss ihres Hauses bereitstellte. Ich weiß nicht, warum die Rauers hatten bleiben dürfen, während wir mit den anderen vertrieben worden waren.
       Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten und fiel vor Müdigkeit um. Mama kam mit einem Teller selbstgemachter Nudeln und Backobst, die Frau Rauer gekocht hatte. Ich konnte vor Erschöpfung nichts essen, bei mir drehte sich alles. Ich wollte nur noch schlafen. Schmerzen vergessen. Schlafen.
       Am nächsten Morgen gingen wir zu unserem Haus und fanden es von Russen verwüstet vor. Wir waren ja einiges gewöhnt, aber dieser Anblick versetzte uns in eine stille Wut, die uns fast platzen ließ. Unsere Möbel waren zum Glück noch vorhanden.
       Zu dieser Zeit war unser Haus nur von uns und Krause bewohnt. Wir hielten uns tagsüber in unserer Küche im Erdgeschoss auf, wo später auch die Familien Göbel und Gerschel kochten. Göbels zogen zu uns, als sie ihre Häuser

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