Der 8. Februar (German Edition)
ein paar Freunden im Bahnhofsaal zum Tanz. Bernhard, Elisabeth und ich rannten los, um sie zu holen. Als wir alle zurückkamen, hatte Papa seine Jacke ausgezogen, die dann ein paar Tage später mit den Fußlappen verbrannt wurde. Er saß auf dem einzigen Stuhl am Tisch und hatte eine kleine Mahlzeit vor sich. Es wurde spät und die Bettenverteilung wurde schnell und problemlos arrangiert. Elisabeth und ich schliefen in ihrem Bett, Ruth in dem anderen im gleichen Zimmer. Der Rest der Familie teilte sich unser kleines Zimmer. Vor Aufregung konnte ich kaum einschlafen und ich dachte nur noch: wir sind wieder eine Familie. Jetzt musste alles besser werden!
Auf seinem Entlassungsschein war folgendes in deutscher und englischer Sprache vermerkt:
Enlassungsgeld DM 40,00 unterzeichnet vom Paymaster (Zahlmeister).
Später kamen hinzu: 5.10.48. finanzielle Beihilfe DM 25,00. Bekleidungsbeihilfen DM 170,00 vom 18.12.48 und DM 190,00 ohne Datum. Das Ganze wurde von der Amtsverwaltung Warburg-Land abgestempelt. Außerdem trug Papa Papiere bei sich, die bestätigten, dass er zu hundert Prozent schwerbeschädigt war und Anrecht auf eine kleine Rente hatte. Papa ruhte sich von der langen und anstrengenden Reise aus. Ein paar Tage nach seiner Ankunft gingen wir zusammen durch das Dorf und auf einmal sah er eine Mohrrübe auf dem Gehweg liegen. Er nahm sie auf, steckte sie in die Tasche und sagte leise zu mir:
„Für später.“
Papa erzählte mir noch folgende Begebenheit aus seiner Gefangenschaft. Zu jedermanns Überraschung gab es eines Tages einen Wettbewerb, an dem die Gefangenen teilnehmen sollten. Die Aufgabe war die Erfindung und der Bau einer Kartoffelschälmaschine und der Gewinner würde aus dem Gefangenenlager entlassen und nach Hause geschickt werden. Papa meldete sich an, weil er die Herausforderung mochte und nichts zu verlieren hatte. In der Konkurrenz gab es einige Ingenieure, aber das beeindruckte ihn nicht besonders. Seine Maschine bestand aus einer Trommel, die mit Kartoffeln und Sand gefüllt wurde. Sie konnte man entweder mit einer Kurbel von Hand oder elektrisch bedienen. Die Kartoffeln besaßen eine vergleichsweise lose Schale, da sie zu früh geerntet wurden. Die Maschine funktionierte ausgezeichnet und Papa gewann den Wettkampf. Die Maschinen der Ingenieure waren zu kompliziert für die russischen Juroren. Unser Vater kam aber trotz allem nicht früher nach Hause. Max Schulze schrieb damals aus Leipzig an Mama, dass sich Papa nicht unabkömmlich machen sollte.
Im Gefangenenlager traf Papa eines Tages einen Kameraden aus Bonenburg, Kreis Warburg, und erzählte ihm, dass wir bei einem Schmiedemeister namens Laudage untergekommen waren. Dieser Kamerad kannte die Familie Laudage und versicherte meinem Vater, dass wir bei guten Leuten wohnten und er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Die guten Taten der Familie waren also über Tausende von Kilometern bis in den Ural vorgedrungen. In der schlechtesten Zeit wog mein Vater nur noch sechsundvierzig Kilogramm und musste Schwerstarbeit verrichten. Erst bei mehr als vierzig Grad Celsius unter Null wurde nicht mehr gearbeitet. Viele Gefangene starben in den Arbeitslagern und es war beinahe ein Wunder, dass überhaupt noch jemand von dort lebend herauskam. Von allen Gefangenen kamen nur zehn Prozent wieder nach Deutschland. Es gab kaum etwas zu essen, dazu die ständige Kälte, keinen Ruhetag, keine Hygiene. Die Arbeit in der Bleimine machte alle krank, viele husteten den ganzen Tag und gingen jämmerlich daran zugrunde. Die Männer wurden in offenen Stahlkäfigen ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen in die Schächte herabgelassen und nach getaner Arbeit wieder heraufgeholt. Verletzungen blieben dabei nicht aus, die nur notdürftig behandelt wurden. Ein Menschenleben galt nichts und die Gefangenen wurden täglich daran erinnert. Nach ein paar Monaten gab es mein Vater auf, bei den toten Kameraden mitzuzählen. Er sprach immer ein stilles Gebet und bat gleichzeitig um Kraft für seine noch lebenden Kameraden und sich selbst.
Der Kamerad aus Bonenburg war nicht beim Transport dabei, er sah Heimat und Familie nie wieder. Papa ging nach kurzer Erholung zu dessen Familie und berichtete von der gemeinsamen Zeit und dass er ein fairer und anständiger Mann gewesen war. Er war stolz darauf, ihn kennengelernt zu haben und er werde ihn in bester freundschaftlicher Erinnerung behalten. So abgehärtet wie er nun war, bei der Schilderung vergoß er
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