Der 8. Februar (German Edition)
daraufhin, nie mehr aus der Heimat zu erzählen. Mir erging es genauso, weil ich sagte, dass ich Roll- und Schlittschuhe gehabt hatte.
Ich sagte auch in der Schule nichts mehr von unserem verloren gegangenen Besitz. Es gab damals einen grausamen Spruch:
“Sie kamen aus dem Osten
Leben auf unsere Kosten
Jeder hatte 1000 Morgen Land
Und Hitler haben sie nie gekannt.“
Das war gemein und falsch, wir bekamen nie die Gelegenheit, unsere Seite der Geschichte darzustellen. Von Laudages hörten wir niemals ein böses Wort. Alle in der Familie behandelten Mama mit Respekt und uns Kinder wie die eigenen. Herr Laudage war in dieser Zeit unser Ersatzvater und Frau Laudage Mutter für alle. Ruth ging es im Hause Kramer nicht schlecht, obwohl es ein totaler sozialer Abstieg für sie war. In Heidau konnte sie problemlos mehrere Dienstmädchen beschäftigen, in Rimbeck war sie selbst eines. Ich glaube, das ist etwas, was die Maiwalds immer ausgezeichnet hat: nie aufgeben, sich den Gegebenheiten anpassen und als Familie zusammenhalten. Nur so hatten wir eine Chance zu überleben, da musste der Stolz heruntergeschluckt werden, auch wenn es noch so bitter war.
Ursula fand auch eine neue Freundin in ihrer Klassenkameradin Elsmarie, die mit Mutter und Schwester aus der Stadt zu den Großeltern gezogen waren, die noch eine Bäckerei in Rimbeck betrieben. Sie waren in der Stadt „ausgebombt“ worden, ein Wort, das man heute vergessen hat. Die Westdeutschen hatten das bessere Image und wurden von der Regierung bevorzugt. Ich weiß von einer Freundin, dass sie ein neues Paar Schuhe bekam, obwohl sie noch ein Paar zu Hause hatte. Ich bekam keine.
Meine Integration in Rimbeck habe ich Elisabeth zu verdanken. Sie nahm mich mit zum katholischen Jugendgesangverein, der auch eine Theatergruppe hatte. Es gab eine Aufführung im Jahr, einmal bekam ich sogar die Hauptrolle als Donna Columbina, was mir sehr viel Spaß machte. Wir wurden mit geliehenen Kostümen aus einem Theaterfundus ausgestattet und mir passte mein Kleid nach kleinen Änderungen. So schöne Sachen hatte ich noch nie gehabt. Als ich siebzehn Jahre alt war ging ich mit Marietta in den Sportverein Scherfede.
16. Brot und Blut
Nach einem schrecklichen und anstrengenden Transport kam mein Vater in Russland an, genauer gesagt in Tscheljabinsk, Magnitogorsk im Ural. Zuerst musste er dort als Holzfäller arbeiten, dann in einem Bleibergwerk. Die Unterkünfte waren primitiv und unzureichend, Hygiene gab es keine. Das Essen bestand aus trockenem Brot und Wasser, sonntags gab es vielleicht einmal ein Ei. Die Lager waren überfüllt, der Tod war ein ständiger Gast. Es gibt eine Bitte auf Anschriftenvermittlung ans Rote Kreuz, Zentrale Suchkarten für Kriegsgefangene und Zivilinternierte von meinem Vater mit dem Datum 31.10.1946.
Als Absender wurde angegeben: Artur Maiwald, CCCP-Moskau, Rotes Kreuz, Postfach 10227. Achtzehn Monate nach seiner Gefangennahme in Heidau durfte er sich erstmals nach uns erkundigen. Mama hatte sich von Rimbeck aus auch ans Rote Kreuz gewandt und an die vereinbarte Adresse in Leipzig von R.Max Schulze. Die erste Karte kam dann auch tatsächlich bei Herrn Schulze an, der gleich darauf Mama benachrichtigte. Niemand, den wir kannten, hatte damals ein Telefon und alles ging sehr langsam. Die Freude war unbeschreiblich: Papa lebte! Seine erste Karte aus Russland war vom 16.1.47.
Vaters Karte
Wir sahen Onkel Otto erst 1947 in Rimbeck wieder, als er auf dem Weg nach Wilhelmshaven war, wo ihm eine Arbeitsstelle als Leiter einer Gerberei angeboten worden war. Er übernachtete in einem Zimmer in Laudages Haus, bei den Söhnen Franz und Bernhard. Kurz vor der Abreise vergaß er dann seine Aktentasche neben einem Sessel und als wir sie fanden, war es schon zu spät. Einige Tage danach kam ein Brief von ihm und er schrieb, dass er die Tasche nachgeschickt haben möchte. Mama schickte den Inhalt, nicht aber die Tasche selbst, die dann zu meiner Schultasche wurde. Sie war aus braunem, reichlich abgenutztem Leder mit einer defekten Schnalle. Für mich war es allerdings eine willkommene Verbesserung, denn bis dahin hatte ich nur eine Papptüte für meine Bücher, die nach und nach auseinanderfiel. Im Sommer 1947 schickte Onkel Otto schwarzes Leder aus Wilhelmshaven und meine ersten Schuhe nach langer Zeit wurden angefertigt. Mama und ich gingen die zehn Kilometer zu Fuß nach Wormeln, hinter Warburg, und ließen mir dort von
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