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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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das größte Opfer ist, das ein Mensch bringen kann.«
    »Oder die größte Rechtfertigung, vor seinen Problemen davonzulaufen.«
    »Auch das würden sicherlich einige Leute behaupten.«
    »Was ist Ihre Meinung?«
    »Es wäre möglich, dass beides auf Sie zutrifft. Aber wenn das der Grund ist, warum Sie auf eine Familie verzichtet haben, können wir das Problem aufarbeiten, Web. Und ich verstehe, dass einige Frauen wegen Ihres Gesichts Schwierigkeiten haben, Sie attraktiv zu finden, aber glauben Sie nicht, dass es allen Frauen so geht - weil nicht alle Frauen so sind.«
    Er schüttelte den Kopf. Dann hielt er inne, blickte zu ihr auf und erwiderte ihren Blick. »Als ich irgendwo in Montana auf dem Posten saß, weil eine andere Gruppe ihren Unmut über die Regierung kundtun wollte, habe ich meine Frühschicht damit verbracht, die Kerle mit meinem Gewehr aufs Korn zu nehmen, wenn sie am Fenster vorbeikamen. Ich habe jeden Tag mehrere Stunden lang darauf gewartet, einen von ihnen erschießen zu müssen. So was macht einen einfach fix und fertig, Claire, das Warten auf die Gelegenheit zum Schuss. Wenn meine Schicht zu Ende war und ich nachts irgendwo in der Wildnis von Montana unter den Sternen saß, habe ich Briefe nach Hause geschrieben.«
    »An wen?«
    Web wirkte etwas verlegen, und er brauchte eine Weile, bis er weiterreden konnte, weil er diese Sache nie zuvor irgendwem erzählt hatte. »Ich habe mir vorgestellt, ich hätte Kinder.« Er schüttelte den Kopf und konnte Claire immer noch nicht in die Augen sehen. »Ich habe mir sogar Namen ausgedacht wie Web junior oder Lacey. Meine Jüngste hieß Brooke, sie hatte rotes Haar und Zahnlücken. Ich habe an alle Briefe geschrieben. Ich habe sie tatsächlich nach Hause geschickt, wo sie alle eingetroffen waren, wenn ich heimkehrte. Während ich darauf wartete, in Montana eine Gruppe von Verlierern zu erschießen, die so schlecht bewaffnet war, dass es nicht einmal witzig war, habe ich Brooke Louise geschrieben, dass ihr Daddy bald nach Hause kommen würde. Ich habe zeitweise sogar selbst geglaubt, ich hätte eine Familie. Es war wirklich das Einzige, was mich bei der Stange gehalten hat, denn am Ende musste ich tatsächlich den Abzug betätigen und die Bevölkerung von Montana um ein paar Personen dezimieren.« Web schwieg und wischte sich über den Mund. Er schluckte und hatte das Gefühl, in ihm hätte sich ein See aus Galle angestaut, während er auf den Teppich starrte. »Als ich nach Hause kam, warteten dort all die Briefe auf mich. Aber ich habe sie nicht gelesen. Ich wusste ja, was darin stand. Das Haus war leer. Keine Brooke Louise.«
    Endlich blickte er wieder auf. »Das ist ziemlich verrückt, nicht wahr? Briefe an Kinder zu schreiben, die man gar nicht hat.«
    Obwohl er es gar nicht bewusst beabsichtigt hatte, konnte Web erkennen, dass er endlich zu Claire Daniels durchgedrungen war.
    Als Web Claires Büro verließ und die beiden Personen sah, die sich leise im Wartezimmer unterhielten, hatte er für eine Sekunde einen geistigen Aussetzer, weil der Kontext völlig falsch war. O'Bannon passte in die Situation, weil der Mann schließlich hier arbeitete. Aber die Frau, die neben ihm stand, sollte eigentlich nicht hier sein. Als sie den Kopf drehte und Web sah, schnappte Debbie Riner sichtlich nach Luft.
    O'Bannon sah ihn ebenfalls und kam mit ausgestreckter Hand zu Web.
    »Web, ich wusste gar nicht, dass Sie heute einen Termin haben. Aber wie hätte ich auch davon wissen sollen? Immerhin benutzen Claire und ich nicht den gleichen Terminkalender, was ethisch keineswegs zu vertreten wäre, nicht wahr?«
    Web gab dem Arzt nicht die Hand. Er starrte nur Debbie an, die wie erstarrt wirkte, als wäre sie soeben in flagranti mit O'Bannon erwischt worden.
    O'Bannons Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. »Kennen Sie sich?«, fragte er. Dann schlug er sich gegen die Stirn. »Natürlich! Das HRT!«
    Web ging zu Debbie hinüber, die ein Taschentuch aus der Handtasche zog.
    »Deb? Du gehst zu O'Bannon?«
    »Web«, sagte O'Bannon, »das unterliegt der Schweigepflicht.«
    Web winkte nur ab. »Ja, ich weiß, streng geheim.«
    »Ich konnte mich noch nie mit diesem gemeinsamen Wartezimmer anfreunden. Es verletzt die Privatsphäre der Patienten, aber ein anderes Arrangement ist nicht machbar«, sagte O'Bannon, obwohl die beiden nicht im Geringsten an seiner Beschwerde interessiert waren. »Also, bis dann, Debbie«, sagte er schließlich und wandte sich an Web. »Machen

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