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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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einschalten wollte. Aber wenn man ihn fragen würde, hätte er gesagt, dass es mit der gesamten Welt - nicht nur mit  den USA - schon seit einiger Zeit den Bach runterging.
    Das Kreuzfeuer hatte zum Glück etwas nachgelassen, obwohl der Grund dafür eine andere furchtbare Tragödie war. Ein japanisches Verkehrsflugzeug war vor der Pazifikküste abgestürzt. Die Überreste von dreihundert im Meer schwimmenden Leichen waren eindeutig interessanter als eine bereits mehrere Tage alte Geschichte über eine Gruppe getöteter FBI-Agenten. Und dafür war Web ebenfalls dankbar. Lasst uns in Frieden trauern.
    Er hatte inzwischen dreimal Bericht erstattet, im Hoover Building und im WFO, vor unterschiedlichen Gruppen von Ermittlern. Sie waren mit Notizblock, Kugelschreibern und Diktiergeräten ausgerüstet gewesen, einige der jüngeren Agenten sogar mit Laptops. Sie hatten Web viel mehr Fragen gestellt, als er Antworten hatte. Doch jedes Mal, wenn er gesagt hatte, dass er nicht wusste, warum er erstarrt und dann zu Boden gegangen war, hatten die Stifte aufgehört, über Papier zu kritzeln, hatten die Finger aufgehört, die Tasten zu bearbeiten.
    »Als Sie >erstarrt< sind, wie Sie sagen, haben Sie da etwas gesehen? Etwas gehört, das Sie zu dieser Reaktion veranlasst hat?« Der Mann hatte in monotonem Tonfall gesprochen, der für Web nur ein winziges Stückchen unterhalb offener Ungläubigkeit lag.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie wissen es wirklich nicht? Sie wissen nicht, ob Sie erstarrt sind?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Ich meine, warum ich es getan habe. Warum ich mich nicht mehr rühren konnte. Es war, als wäre ich plötzlich gelähmt.«
    »Aber Sie haben sich wieder gerührt, nachdem Ihr Team das Leben verloren hatte?«
    »Ja«, räumte Web ein.
    »Was hat sich geändert, dass Sie wieder dazu in der Lage waren?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und als Sie in den Hinterhof kam, stürzten Sie?«
    »Richtig.«
    »Unmittelbar, bevor die Maschinengewehre das Feuer eröffneten«, sagte ein anderer Ermittler.
    Web konnte seine eigene Antwort kaum hören. »Ja.«
    Die Stille, die auf diese spärlichen Erwiderungen folgte, war wie ein schwerer Hieb in seine ohne hin angeschlagenen Eingeweide.
    Während jeder Befragung hatte Web die Hände auf den Tisch gelegt, jedem Fragenden unverwandt ins Gesicht gesehen, und eine leicht vorgebeugte Haltung eingenommen. Diese Männer waren allesamt professionelle und erfahrene Inquisitoren. Web wusste, wenn er den Blick abwandte, sich zurücklehnte, sich am Kopf kratzte oder, was noch viel schlimmer war, die Arme verschränkte, dann würden sie unverzüglich schlussfolgern, dass er ihnen etwas vorlog. Web war keineswegs unehrlich, auch wenn er ihnen nicht die ganze Wahrheit sagte. Aber wenn er ihnen erzählte, dass der Anblick eines kleinen Jungen eine unheimliche Wirkung auf ihn gehabt hatte, vielleicht auf unerklärliche Weise seine Bewegungslosigkeit veranlasst hatte, was ihm das Leben gerettet hatte - oder dass er sich danach unendlich schwer gefühlt hatte, als wäre er in Beton gegossen, um sich Sekunden später wieder frei bewegen zu können -, dann konnte er seinen Job bei der Bundespolizei vergessen. Die Führungskräfte mochten es überhaupt nicht, wenn Agenten irrationale Kommentare abgaben.
    Aber er hatte noch einen dicken Pluspunkt auf seiner Guthabenseite. Die MG-Stellungen hatten sich schließlich nicht von selbst zerstört. Die Kugeln aus seinem Gewehr sprachen eine deutliche Sprache. Und die Scharfschützen hatten alles gesehen, und er hatte das Hotel-Team gewarnt und obendrein den Jungen aus der Todeszone gerettet. Web legte großen Wert darauf, diese Punkte anzusprechen. Er wollte dafür sorgen, dass es allen bewusst war. Ihr könnt mich treten, während ich am Boden liege, meine Freunde, aber nicht zu kräftig. Immerhin bin ich trotz allem ein Held.
    »Bald ist mit mir wieder alles in Ordnung«, hatte Web zu ihnen gesagt. »Ich brauche nur noch etwas Zeit. Dann bin ich wieder okay.« Und in einem entsetzten Augenblick dachte Web, dass er ihnen nach einem langen Tag möglicherweise die erste Lüge erzählt hatte.
    Sie würden ihn nötigenfalls noch einmal vorladen, teilten sie ihm mit. Vorläufig sollte er gar nichts tun. Er sollte sich alle Zeit nehmen, die er brauchte, um sich wieder zu fangen. Das FBI hatte ihm die Hilfe eines Beraters angeboten, eines professionellen Psychologen. Sie hatten sogar darauf bestanden, dass er Hilfe in Anspruch nahm, und Web versprach, dass er

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