Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
Vom Netzwerk:
schienen sich keine besonderen Sorgen über Kevins Abwesenheit zu machen. Vielleicht tauchte das Kind regelmäßig nach größeren Schießereien unter. Ein mürrischer junger Mann saß auf der Couch. »Wir haben schon mit den Bullen geredet«, sagte er. Man konnte es eigentlich nur so ausdrücken, dass er die Worte in Webs Richtung spuckte.
    »Es gibt da noch ein paar Unklarheiten«, erwiderte Web, der gar nicht daran denken wollte, was Bates mit ihm anstellen würde, wenn er herausfand, dass Web auf eigene Faust herumschnüffelte. Er war es Riner und den anderen schuldig - zur Hölle mit den Vorschriften der Bundespolizei. Trotzdem hatte er ein ungutes Gefühl.
    »Halt die Klappe, Jerome«, sagte die großmütterliche Frau, die neben Jerome saß. Sie hatte weißes Haar, eine riesige Brille, einen gewaltigen Busen und machte den Eindruck, dass sie sich nichts bieten lassen würde. Sie hatte Web nicht gesagt, wie sie hieß, und er hatte sie nicht danach gefragt. Er stand zweifellos in den FBI-Akten, aber er hatte ihn aus anderen Quellen erfahren. Sie war so groß wie ein Kleinwagen und sah aus, als könnte sie es problemlos mit Jerome aufnehmen. Verdammt, es sah aus, als könnte sie es sogar mit Web aufnehmen! Sie hatte ihn zweimal nach seinem Namen und Ausweis gefragt, bevor sie die Türkette abgenommen und ihn hereingelassen hatte. »Ich mag es nicht, Leute in mein Haus zu lassen, die ich nicht kenne«, erklärte sie. »Egal, ob Polizisten oder sonst wer. Diese Gegend hier ist nicht mehr sicher. Und zwar auf beiden Seiten des Spielfeldes.« Sie sagte es mit hochgezogenen Augenbrauen und einem wissenden Blick, der Web mitten in seine Seele als Bundespolizist traf.

    Eigentlich will ich gar nicht hier sein, hätte Web ihr am liebsten gesagt, in erster Linie, weil ich den Atem anhalten muss, damit ich mich nicht übergebe. Als Web sich setzte, konnte er durch die Löcher in den Bodendielen bis zum harten Lehmboden hinunterschauen, auf dem das Haus errichtet war. Hier musste es im Winter kuschelig warm sein, dachte er. Draußen waren es knapp zwanzig Grad, und drinnen fühlte es sich an wie um den Gefrierpunkt. Kein beruhigendes Geräusch eines Ofens war zu hören, und keine köstlichen Düfte wehten aus Omas gemütlicher Küche herein. In einer Ecke lag ein großer Haufen Diet-Pepsi-Dosen. Anscheinend gab jemand Acht auf sein Gewicht. Doch unmittelbar daneben befand sich ein Berg aus McDonald's-Abfällen. Wahrscheinlich von Jerome, dachte Web. Er sah aus wie jemand, der Big Macs und Fritten mochte. »Leben Sie schon lange hier?«, fragte Web.

    Jerome schnaufte nur, während die Alte auf ihre verschränkten Hände blickte. »Seit drei Monaten«, sagte sie. »Wo wir vorher gewohnt haben, haben wir sehr lange gewohnt. Hatten es richtig nett.«
    »Aber dann war man der Meinung, dass wir zu viel Geld verdienen, um in einem so netten Haus zu wohnen. Also warf man uns raus«, fügte Jerome wütend hinzu. »Man hat uns einfach rausgeworfen.«
    »Niemand hat behauptet, dass es im Leben gerecht zugeht, Jerome«, sagte die Frau zu ihm. Sie sah sich in diesem Dreckstall um und sog einen schweren Atemzug ein, der Webs letzte Hoffnungen schwinden ließ. »Wir werden es uns auch hier schön machen. Irgendwann wird's auch hier nett sein.« Sie klang nicht sehr überzeugt, wie Web bemerkte.
    »Hat die Polizei schon irgendwelche Fortschritte bei der Suche nach Kevin gemacht?«
    »Warum fragen Sie nicht selbst danach?«, erwiderte die Alte. »Weil man uns nämlich nichts über den armen kleinen Kevin sagt.«
    »Die Polizei hat ihn verloren«, sagte Jerome und rutschte etwas tiefer in den Berg aus durchgesessenen, fleckigen Kissen, aus denen die Couch bestand. Web konnte nicht einmal erkennen, ob noch ein Gestell vorhanden war. Die Decke war an drei verschiedenen Stellen durchgebrochen, soweit Web sehen konnte, und hing so tief herunter, dass man gar keine Treppe brauchte, um ins obere Geschoss zu gelangen. Man musste nur die Arme ausstrecken und sich hochziehen. Auf den Wänden wuchs schwarzer Schimmel, wahrscheinlich war auch bleihaltige Farbe drauf, und die Rohrleitungen waren zweifellos mit Asbest verkleidet. Überall lagen die Hinterlassenschaften von kleinen Nagetieren, und Web hätte tausend Dollar darauf verwettet, dass Termiten den größten Teil des verbauten Holzes gefressen hatten. Die Leute vom Bauamt mussten die gesamte Gegend längst abgeschrieben haben - oder sie saßen irgendwo zusammen beim Kaffee und lachten sich

Weitere Kostenlose Bücher