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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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war, obwohl sie auf dem Foto vor Lebenskraft nur so strotzte.
    Während der Regen immer heftiger wurde, saß Web in seinem Motelzimmer, trank den Kaffee und betrachtete einige der älteren Dokumente. Da war die Heiratsurkunde der Sullivans. Web war überrascht, dass seine Mutter sie aufbewahrt hatte. Andererseits war es nun einmal ihre erste Ehe gewesen, auch wenn sie letztlich schief gegangen war. Die Unterschrift seines Vaters war überraschend klein für einen so großen und selbstbewusst wirkenden Mann. Und die Buchstaben waren recht ungelenk, als wäre es dem alten Harry peinlich gewesen, seinen Namen schreiben zu müssen, als wäre er sich nicht ganz über die Form oder die Abfolge der Buchstaben im Klaren. Ein nicht sehr gebildeter Mann, folgerte Web.
    Er legte die Urkunde weg und widmete sich einem anderen Stück Papier. Es war ein Brief. Ganz oben stand die Adresse einer Besserungsanstalt in Georgia. Das Datum des Briefes lag ein Jahr nach der Flucht von Mutter und Sohn vor dem Zuchthäusler, zu dem der Ehemann und Vater geworden war. Der Brief war auf einer Schreibmaschine getippt worden, aber am Ende hatte Harry Sullivan per Hand unterzeichnet. Und diese Unterschrift war kraftvoller, mit größeren und besser ausgebildeten Buchstaben, als hätte der Mann seine Schreibfertigkeit geübt. Aber im Gefängnis hatte er schließlich jede Menge »Freizeit« gehabt.
    Der Inhalt des Briefes selbst war knapp. Es war eine Bitte um Entschuldigung, die an Charlotte und Web gerichtet war. Wenn er wieder freikam, würde er ein anderer Mensch sein, behauptete er. Er würde alles wieder in Ordnung bringen. Eigentlich hieß es im Brief, dass Harry Sullivan versuchen wollte, all seine Versprechen zu halten. Web hatte genügend Befragungen durchgeführt, um zu wissen, dass Menschen hinter Schloss und Riegel und ohne Aussicht, irgendwann die Freiheit wiederzuerlangen, dazu neigen, schamlos zu lügen, wenn sie glaubten, dass es ihnen irgendwie von Vorteil sein könnte. Er fragte sich, ob sein Vater das Scheidungsurteil bekommen hatte, kurz nachdem er diesen Brief abgeschickt hatte. Welchen Effekt mochte das auf einen Strafgefangenen haben? Zuerst nahm man ihm die Freiheit, und dann verlor er auch noch Frau und Kind. Damit blieb einem nicht mehr allzu viel übrig. Web hatte seiner Mutter nie Vorwürfe gemacht, und auch jetzt konnte er ihr Verhalten verstehen. Doch angesichts dieser Bruchstücke seiner Familiengeschichte tat ihm Harry Sullivan nun ein wenig Leid, wo immer er jetzt sein mochte, ob er noch am Leben war oder nicht.
    Web legte den Brief weg und verbrachte die nächste Stunde damit, den übrigen Inhalt des Kartons durchzusehen. Was die Suche nach seinem Vater betraf, so waren die meisten Dokumente dafür völlig nutzlos, aber Web sah sich trotzdem alles genau an. Schließlich fielen ihm zwei Dinge in die Hände, die ihm möglicherweise weiterhelfen würden. Ein abgelaufener Führerschein mit dem Foto seines Vaters - und seine Sozialversicherungskarte. Das eröffnete einen weiteren Ansatz, den Web nutzen konnte. Schließlich war er nicht umsonst beim FBI.
    Er schluckte seinen Stolz hinunter, rief Percy Bates an und entschuldigte sich so demütig, dass es fast schon peinlich war. Dann nannte er ihm Harry Sullivans Namen, seine Sozialversicherungsnummer und den mutmaßlichen Zeitraum seiner Inhaftierung in Georgia. Web hatte überlegt, ob er Ann Lyle wegen dieser Anfrage kontaktieren sollte, aber diese Quelle wollte er nicht zu häufig anzapfen. Ann hatte genügend Arbeit zu erledigen, und im Augenblick benötigte das HRT ihre ganze
    Unterstützung. Außerdem hatte sie sich immer noch nicht wegen Cove zurückgemeldet, und Web wollte nicht, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlte.
    »Wer ist dieser Mann?«, wollte Bates wissen.
    Als Web sich bei der Bundespolizei beworben hatte, hatte er den Namen seines leiblichen Vaters angeben müssen. Darauf wollte die Personalabteilung weitere Einzelheiten wissen. Damals hatte er seine Mutter gebeten, ihm weitere Informationen zukommen zu lassen, doch sie hatte sich schlichtweg geweigert, irgendetwas zu diesem Thema zu sagen. Also hatte Web den FBI-Leuten mitgeteilt, dass er nichts über den Verbleib seines Vaters wusste und auch keine Informationen hatte, die ihnen helfen könnten, ihn ausfindig zu machen. Soweit er wusste, war die Sache damit erledigt gewesen. Er hatte die Überprüfungen bestanden, und seine FBIKarriere konnte beginnen. Zum letzten Mal hatte er im Alter von sechs

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