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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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wurde Zeit, sich neu zu orientieren - das war die unmissverständliche Botschaft dieses Zusammentreffens.
    Punkt neun Uhr am nächsten Morgen trat Web in Claire Daniels' Büro. Ironischerweise traf er dort zuerst auf Dr. O'Bannon.
    »Web, schön, Sie zu sehen. Möchten Sie Kaffee?«
    »Ich weiß, wo es Kaffee gibt. Ich werde mir selbst einen holen, vielen Dank.«
    »Wissen Sie, Web, ich war in Vietnam. Ich habe niemals gekämpft, weil ich auch damals schon Psychiater war. Aber ich habe viele Männer gesehen, die gekämpft haben. Dabei passieren Dinge, die man nie für möglich gehalten hätte. Aber anschließend wird man wahrscheinlich umso stärker sein. Und ich habe mit Kriegsgefangenen gearbeitet, die von den verdammten Vietkong gefoltert wurden. Sie haben Schreckliches durchgemacht, die klassische körperliche und mentale Manipulation, die Ausgrenzung von Unruhestiftern, denen jede moralische und körperliche Unterstützung verwehrt wurde. Ich weiß, was in Ihnen vorgeht, Web. Darum hat es mich, offen gesagt, ein wenig überrascht, dass Sie lieber mit Claire zusammenarbeiten wollen. Natürlich ist es ethisch nicht zu rechtfertigen, wenn ein Psychiater einem Kollegen Patienten wegnimmt. Aber - und ich glaube, Claire sieht es auch so - in diesem Fall stehen Ihre Interessen an erster Stelle, Web. Wenn Sie also jemals Zweifel bekommen sollten, ob Sie mit Claire weitermachen wollen, bin ich jederzeit für Sie da.«
    Er schlug Web auf die Schulter, bedachte ihn mit einem Blick, der offenbar aufmunternd gemeint war, und ging davon.
    Kurz darauf kam Claire aus ihrem Büro, und sie machten gemeinsam Kaffee. Sie beobachteten wie ein Arbeiter mit Firmenuniform und Werkzeugkiste das Kabuff verließ, in dem die Strom- und Telefonleitungen der Praxis zusammenliefen.
    »Probleme?«, fragte Web.
    »Keine Ahnung, ich bin gerade erst angekommen«, antwortete Claire.
    Während sie sich weiter mit der Kaffeemaschine beschäftigten, musterte Web die Frau. Claire trug eine Bluse und einen knielangen Rock, unter dem hübsch gebräunte Waden und Knöchel hervorschauten. Ihr Haar jedoch war trotz der Kürze etwas zerrauft. Sie schien Webs Blicke zu bemerken und zupfte die unordentlichen Strähnen zurecht.
    »Seit einiger Zeit laufe ich ein paar Mal um den Block, um etwas Bewegung zu bekommen. Wind und Feuchtigkeit sind nicht so gut für das Haar.« Sie nahm einen Schluck Kaffee und gab noch etwas Zucker in ihre Tasse. »Sind Sie bereit?«
    »So bereit, wie man nur sein kann.«
    Als sie in ihrem Büro waren, studierte Claire eine Weile in zwei Aktenordnern, während Web auf ein Paar Turnschuhe starrte, die in einer Ecke standen. Vermutlich benutzte sie sie zum Laufen. Er warf ihr einen nervösen Blick zu.
    »Zuerst möchte ich Ihnen danken, dass Sie so viel Vertrauen in mich haben, dass ich Ihre Behandlung übernehmen darf, Web.«
    »Ich weiß selbst nicht genau, welcher Teufel mich geritten  hat«, sagte er ehrlich.
    »Nun, was immer der wahre Grund sein mag, ich werde mir jedenfalls alle Mühe geben, Sie zu überzeugen, dass es eine gute Entscheidung war. Dr. O'Bannon war darüber nicht sehr glücklich, aber Ihre Interessen sind wichtiger.« Sie hob einen der kleinen Aktenordner. »Das hat Dr. O'Bannon mir gegeben, als ich Ihren Fall übernahm.«
    Web zwang sich zu einem Lächeln. »Ich hätte gedacht, meine Akte wäre inzwischen viel dicker.«
    »Offen gesagt, genau das habe ich auch gedacht«, erwiderte Claire überraschenderweise. »Seine Notizen von den früheren Sitzungen sind ziemlich knapp. Er hat Ihnen verschiedene Medikamente verschrieben, Antidepressiva, aber nichts Ungewöhnliches.«
    »Und? Ist das gut oder schlecht?«
    »Gut, wenn es Ihnen geholfen hat. Und davon gehe ich aus, da Sie in ein produktives Leben zurückgekehrt sind.«
    »Aber?«
    »Aber in Ihrem Fall wären vielleicht etwas gründlichere Erkundungen angebracht. Ich muss Ihnen sagen, dass es mich überrascht, dass er Sie niemals hypnotisiert hat. Darin ist er sehr gut, und das gehört normalerweise zu seiner Therapie. O'Bannon gibt sogar einen Hypnose-Kurs an der Universität, und alle drei oder vier Jahre hypnotisiert er einen Studenten, den er zum Beispiel dazu bringt, einen Buchstaben des Alphabets auszublenden. Dann schauen sie auf das Wort >Katze< an der Tafel und sprechen es >Atze< aus. Oder er redet ihnen ein, ihr Kopf würde ständig von einer Mücke umschwirrt. Damit kann man demonstrieren, wie visuelle und akustische Halluzinationen

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