Der Abgrund
funktionieren.«
»Ich erinnere mich, dass wir darüber geredet haben, als ich vor Jahren zum ersten Mal bei ihm war. Ich wollte es nicht, also haben wir es auch nicht gemacht«, sagte er kategorisch.
»Ich verstehe.« Sie hob den wesentlich dickeren Aktenordner. »Das ist Ihre offizielle FBI-Akte, oder zumindest ein Teil davon«, beantwortete sie seinen fragenden Blick.
»Das habe ich vermutet. Aber ich hatte gedacht, sie wären vertraulich.«
»Sie haben eine Einverständniserklärung unterschrieben, als Sie der Beratung zustimmten. Der Therapeut bekommt die Akte, weil sie bei der Behandlung sehr hilfreich sein kann, natürlich ohne streng geheime oder brisante Informationen. Dr. O'Bannon hat die Akte an mich weitergegeben. Ich habe sie gründlich studiert.«
»Gut.« Web ließ die Fingerknöchel knacken und sah sie erwartungsvoll an.
»Bei unserem ersten Gespräch haben Sie nicht erwähnt, dass Ihr Stiefvater Raymond Stockton durch einen Sturz im Haus ums Leben kam, als Sie fünfzehn waren.«
»Nein? Hm, ich dachte, ich hätte es erwähnt. Aber Sie haben sich keine Notizen gemacht, also können Sie es nicht bestätigen.«
»Glauben Sie mir, Web, daran hätte ich mich erinnert. Aber Sie haben mir erzählt, dass Sie kein gutes Verhältnis zu Ihrem Stiefvater hatten, nicht wahr?« Sie blickte auf die Papiere.
Web spürte, wie sich seine Herzfrequenz erhöhte und seine Ohren heiß wurden. Ihre Befragungstechnik war von klassischer Brillanz. Sie hatte ihn zunächst an der langen Leine gehalten und nun mit Unterstützung eines fünfhundert Pfund schweren Gorillas daran gerissen. »Wir hatten einige Meinungsverschiedenheiten. Wer hat die nicht?«
»Hier folgen etliche Seiten mit Anzeigen wegen Körperverletzung aufeinander. Einige wurden von Nachbarn erstattet, einige von Ihnen. Alle gegen Raymond Stockton. Würden Sie das als >Meinungsverschiedenheiten< bezeichnen?« Er wurde rot, und sie fügte hastig hinzu: »Ich möchte nicht sarkastisch klingen, sondern nur verstehen, in welcher Beziehung Sie zu diesem Mann standen.«
»Da gibt es nichts zu verstehen, weil wir keine Beziehung hatten.«
Wieder beschäftigte sich Claire mit den Unterlagen. Sie blätterte vor und zurück, und Web verfolgte jede Bewegung mit zunehmender Unruhe.
»Ist das Haus, das Ihre Mutter Ihnen hinterlassen hat, dasselbe, in dem Stockton starb?« Web antwortete nicht. »Web? Ist es dasselbe...«
»Ich habe Sie verstanden!«, gab er zurück. »Ja, es ist dasselbe. Und?«
»Ich habe nur gefragt. Sie denken also daran, es zu verkaufen?«
»Warum fragen Sie danach? Arbeiten Sie nebenbei als Immobilienmaklerin?«
»Ich habe nur das Gefühl, dass Sie gewisse Probleme mit diesem Haus haben.«
»Es war nicht gerade ein nettes Haus, um darin seine Kindheit zu verbringen.«
»Das kann ich mir gut vorstellen. Aber wenn Sie wollen, dass es Ihnen wieder besser geht, müssen Sie sich Ihren Ängsten stellen.«
»Ich habe keine Angst vor diesem Haus. Es gibt nichts, dem ich mich stellen müsste.«
»Warum reden wir dann nicht einfach darüber?«
»Hören Sie, Claire, damit würden wir sehr weit abschweifen. Ich bin zu Ihnen gekommen, weil es mir ziemlich zu schaffen macht, dass mein Team abgeknallt wurde. Damit sollten wir uns beschäftigen! Vergessen wir die Vergangenheit. Vergessen wir das Haus, vergessen wir Väter! Das hat nichts mit meinen Schwierigkeiten oder meiner Persönlichkeit zu tun.«
»Im Gegenteil, das alles hat sehr viel mit Ihnen zu tun. Nur wenn ich Ihre Vergangenheit kenne und verstehe, kann ich Ihnen mit Ihrer Gegenwart und für Ihre Zukunft helfen. So einfach ist das.«
»Warum verschreiben Sie mir nicht einfach irgendwelche Pillen, und damit ist die Sache erledigt? Dann ist auch das FBI zufrieden, weil ich meine Psycho-Massage bekommen habe und Sie Ihren Job gemacht haben.«
Claire schüttelte den Kopf. »So funktioniert das nicht, Web. Ich möchte Ihnen helfen. Ich glaube, dass ich Ihnen helfen kann. Aber dazu müssen Sie mit mir zusammenarbeiten. In diesem Punkt kann ich keine Abstriche machen.«
»Ich dachte, Sie wären der Meinung, ich hätte eine Kriegsneurose oder etwas in der Art. Was hat das mit meinem Stiefvater zu tun?«
»Wir haben lediglich darüber gesprochen, dass es möglicherweise mit dem zusammenhängt, was mit Ihnen passiert ist. Ich habe nicht gesagt, dass es die einzige Möglichkeit ist. Wir müssen die Angelegenheit von allen Seiten betrachten, wenn wir damit weiterkommen wollen.«
»Es klingt
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