Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
seinen Kopf voller Sorgen, und endlich schlummerte er doch noch ein. Wenn ihn weitere Träume quälten, so wusste er jedenfalls nichts mehr davon, als er aufwachte.
Drei weitere Tage auf Pfaden, so schmal, dass den Wanderern das Herz zu Eis gefror, folgten. Dann hatten sie die Höhen des Sikkihoq hinter sich gebracht. Auf dem Kamm des Berges brauchten sie nicht länger hintereinander zu gehen, und als sie weiter unten ein breites Plateau aus schneebesprenkeltem Granit erreichten, machten sie halt, um zu feiern. Für eine seltene Stunde schien die Nachmittagssonne. Das Licht hatte das Spinngewebe der Wolken durchbrochen,und der Wind war wie ein Raubtier, das ausnahmsweise nur spielen und nicht zubeißen wollte.
Binabik ritt auf Qantaqa voraus, um das Gelände zu erkunden. Dann ließ er die Wölfin zum Jagen frei. Sogleich war sie in einem Gewirr von weißummantelten Felsblöcken verschwunden. Binabik ging zurück zu den Übrigen, ein breites Lächeln im Gesicht.
»Es ist gut, eine Weile von den Klippen herunterzukommen«, meinte er und setzte sich neben Simon, der seine Stiefel abgestreift hatte und das Blut in seine weißen Zehen zurückrieb. »Man hat wenig Zeit, an etwas anderes zu denken, wenn man auf solch engen und gefährlichen Pfaden reitet.«
»Oder läuft«, erwiderte Simon und betrachtete kritisch seine Zehen.
»Oder läuft«, stimmte Binabik zu. »Ich werde in einem Augenblick zurück sein.« Der kleine Mann stand auf und ging über den sanft gewölbten Fels dorthin, wo der größte Teil der Trolle im Kreis auf dem Boden saß. Sie ließen einen Trinkschlauch kreisen. Mehrere hatten die Jacken ausgezogen und boten ihre nackten Oberkörper dem matten Sonnenlicht dar. Ihre braune Haut quoll über von eintätowierten Vögeln, Bären und geschmeidigen Fischen. Die Widder waren abgesattelt und losgelassen worden, um das magere Futter abzugrasen, das sie hier finden konnten – Moose und Klumpen von struppigem Buschwerk, das in den Felsspalten Wurzeln geschlagen hatte. Einer der Trollmänner wachte als Hirte über sie, schien allerdings mit dem Herzen nicht recht bei der Sache zu sein. Unzufrieden stocherte er mit seinem Krummspeer im Boden herum und sah zu, wie der Schlauch von einem zum andern wanderte. Einer seiner Kameraden deutete auf ihn und lachte über seinen Kummer, stapfte dann aber endlich zu ihm hinüber und teilte den Schlauch mit ihm.
Binabik trat zu Sisqi, die bei einigen anderen Jägerinnen saß. Er bückte sich und sagte etwas zu ihr, dann rieb er sein Gesicht an ihrem. Sie schob ihn lachend fort, bekam jedoch rote Wangen. Simon, der sie beobachtete, empfand einen leisen Anflug von Eifersucht auf das Glück seines Freundes, schluckte ihn aber hinunter. Vielleicht würde er eines Tages auch jemanden finden. Traurig dachte er an Prinzessin Miriamel, die so unerreichbar für einen Küchenjungenwie ihn war. Nichtsdestoweniger war sie nur ein Mädchen, wie die, mit denen Simon einst auf dem Hochhorst ungeschickte Gespräche geführt hatte – in einer Zeit, die ihm unendlich lange her schien. Als er und Miriamel Seite an Seite vor der Brücke von Da’ai Chikiza oder vor dem Riesen gestanden hatten, hatte es keinen Unterschied zwischen ihnen gegeben. Sie waren Freunde gewesen, die sich gemeinsam und gleichberechtigt einer Gefahr stellten.
Aber damals wusste ich auch noch nicht, dass sie über mir stand. Jetzt weiß ich es, und darum ist alles anders. Aber wieso? Bin ich ein anderer? Ist sie eine andere? Eigentlich doch nicht. Und sie hat mich geküsst! Und das war, als sie schon längst wieder die Prinzessin war!
Er fühlte eine sonderbare Mischung von Hochgefühl und Ohnmacht. Wer konnte überhaupt entscheiden, was recht war? Die Weltordnung schien im Begriff, sich zu verändern, und wo stand ein Gesetz geschrieben, nach dem ein heldenmütiger Küchenjunge nicht stolz vor eine Prinzessin treten konnte – die schließlich mit ihrem Vater, dem König, verfeindet war?
Es folgte ein Augenblick großartiger Tagträume. Simon malte sich aus, wie er als Held in eine große Stadt einzog, auf stolzem Ross, vor sich gezückt das Schwert Dorn, wie er es einmal auf einem Bild des Ritters Camaris gesehen hatte. Irgendwo, das wusste er, sah Miriamel ihm voller Bewunderung zu. Der Tagtraum platzte, als er sich plötzlich fragte, in welche Stadt er denn so heroisch einreiten wollte. Naglimund, Geloë hatte es gesagt, war gefallen. Der Hochhorst, Simons einziges Zuhause, war ihm für immer verwehrt. Das
Weitere Kostenlose Bücher