Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Rachel nie viel aus Prinz Josua gemacht.Er war ihr immer ein bisschen zu gescheit und zu prätentiös dahergekommen, sichtlich jemand, der sich für ganz schön schlau hielt. Aber ihn als Verräter zu bezeichnen – das war die pure Dummheit, und jedermann wusste es! Für solchen Unsinn war Josua viel zu sehr der Stubengelehrte, der hoch über den Wolken schwebte – aber was hatte sein Bruder Elias getan? War er nicht sofort mit einem Heer nach Norden geprescht, hatte mit Hilfe irgendeiner List Josuas Burg Naglimund zerstört, dann die Leute abgeschlachtet und alles niedergebrannt? Und warum? Weil Elias von blödsinnigem Männerstolz besessen war. Nun waren viele Frauen in Erkynland Witwen, die Ernte stand in Gefahr, und der ganze Hochhorst mit all seinen Bewohnern befand sich – mochte der Herr Usires ihr den Gedanken verzeihen, aber es war nichts als die Wahrheit – senkrecht auf dem Weg zur Hölle.
Vor ihr ragte die Rückfront des Nerulagh-Tors auf, dessen lange Schatten auf die Mauern zu beiden Seiten fielen. Zänkische Vögel, Weihen und Raben, stritten um die Fleischreste an den zehn Totenschädeln, die auf Spießen über dem Tor steckten.
Rachel schauderte es und sie schlug das Zeichen des Baumes. Noch etwas, das anders geworden war. Niemals in all den langen Jahren, die sie König Johan den Haushalt geführt hatte, war solche Grausamkeit zur Schau gestellt worden, wie sie Elias jetzt an diesen Verrätern geübt hatte. Man hatte sie unten auf dem Platz der Schlachten in Erchester erschlagen und gevierteilt, vor einer unruhigen und mürrischen Menge. Nicht dass einer der hingerichteten Edelleute sonderlich beliebt gewesen wäre – ganz im Gegenteil hatte man Baron Godwig wegen seiner Missherrschaft über Cellodshire ausgesprochen gehasst –, aber jedermann hatte gespürt, wie fadenscheinig die königlichen Vorwürfe gewesen waren. Godwig und die anderen waren wie Verwirrte in den Tod gegangen, hatten die Köpfe geschüttelt und auf ihrer Unschuld beharrt, bis die Keulen der Erkyngarde das Leben aus ihnen herausgeknüppelt hatten. Jetzt standen ihre Köpfe schon volle zwei Wochen über dem Nerulagh-Tor, während die Aasvögel wie geschickte kleine Bildhauer allmählich die Schädel daraus hervormeißelten. Von den darunter Hergehenden schauten nur wenige genauer hin. Die meisten, die aufblickten, wandten sichhastig ab, als hätten sie statt der brutalen Lektion, die ihnen der König erteilen wollte, plötzlich etwas Verbotenes gesehen.
Verräter nannte sie der König, und als Verräter waren sie hingerichtet worden. Rachel dachte, dass man sie kaum vermissen würde; aber trotzdem ließ ihr Tod den Nebel der Verzweiflung wieder ein Stück tiefer auf sie alle herabsinken.
Als Rachel mit abgewandten Augen vorbeihuschte, hätte sie um ein Haar ein junger Knappe umgerannt, der über den schlammigen Weg platschte. Er führte ein Pferd am Zügel. Nachdem sie sich hastig an der Außenmauer in Sicherheit gebracht hatte, drehte sich Rachel um. Sie wollte sehen, wer da vorbeiritt.
Es waren sämtlich Soldaten – bis auf einen. Während die Bewaffneten das grüne Wams der königlichen Erkyngarde trugen, war dieser eine mit einem Gewand von flammendem Scharlachrot, einem schwarzen Reisemantel und hohen schwarzen Stiefeln bekleidet.
Pryrates! Rachel erstarrte. Wohin wollte dieser Teufel mit seiner Ehrengarde?
Es war, als schwebte der Priester über seinen Begleitern. Während die Soldaten lachten und sich unterhielten, blickte Pryrates weder nach rechts noch nach links und hielt den kahlen Kopf gerade wie eine Speerspitze, die schwarzen Augen auf das Tor geheftet, das vor ihm lag.
Nachdem der rote Priester aufgetaucht war, hatte der Ärger wirklich angefangen, als hätte Pryrates einen bösen Zauber über den Hochhorst gelegt. Eine Weile hatte Rachel sich sogar gefragt, ob nicht vielleicht Pryrates, von dem sie wusste, dass er Morgenes nicht gemocht hatte, die Wohnung des Doktors in Brand gesteckt haben konnte. War ein Mann der Mutter Kirche überhaupt zu so etwas fähig? Konnte er, nur weil er ihnen grollte, unschuldige Menschen wie ihren Simon töten? Immerhin behauptete das Gerücht, der Vater des Priesters sei ein Dämon, seine Mutter eine Hexe. Wieder schlug Rachel einen Baum und sah dem stolzen Rücken des Priesters nach, während der Trupp langsam vorbeizog.
Konnte ein Mensch so viel Böses über alle anderen bringen, fragte sie sich. Und warum? Nur um das Werk des Teufels zu tun? Verlegen schaute sie
Weitere Kostenlose Bücher