Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Neue von demselben kalten, öden Ort auf. Trübe dachte er an sein warmes Bett auf dem Hochhorst und kam zu dem Entschluss, selbst wenn der Sturmkönig persönlich in die Burg einzöge, begleitet von einem Gefolge, zahlreich wie Schneeflocken, würde er, Simon, mit Vergnügen im Dienstbotenflügel wohnen bleiben. Verzweifelt sehnte er sich nach einem Zuhause. Er war schon fast so weit, dass er eine Matratze in der Hölle angenommen hätte, wäre der Teufel nur bereit, ihm noch ein Kissen zu leihen.
Als die Tage vergingen, wurde der Sturm in ihrem Rücken immer stärker, eine schwarze Säule, die unheilverkündend in den nordwestlichen Himmel ragte. Große Wolkenarme umklammerten das Firmament wie die Äste eines himmelumspannenden Baumes. Dazwischen flackerten Blitze.
»Besonders schnell kommt er nicht voran«, meinte Simon eines Tages, während sie ihr karges Mittagsmahl einnahmen. Seine Stimme klang ängstlicher, als ihm lieb war.
Binabik nickte. »Er wächst, aber er breitet sich nur langsam aus. Das ist etwas, für das wir dankbar sein müssen.« Er machte einen ungewöhnlich mutlosen Eindruck. »Je langsamer er sich bewegt, desto länger fallen wir nicht unter seinen Schatten – und ich denke, wenn er kommt, wird er eine Dunkelheit mitbringen, die nicht wieder vergeht wie bei einem gewöhnlichen Unwetter.«
»Was meinst du damit?« Das Zittern in Simons Stimme war nicht mehr zu überhören.
»Dies ist nicht nur ein Sturm mit Schnee und Regen«, erläuterte Binabik bedächtig. »Mein Gedanke ist, dass er dazu bestimmt ist, Furcht zu verbreiten, wohin er kommt. Er steigt auf von Sturmspitze, und er sieht aus, als sei er voller Unnatürlichkeit.« Er hob entschuldigend die Hände. »Er wird stärker, aber, wie du gesagt hast, nicht mit großer Schnelligkeit.«
»Ich weiß nichts von solchen Dingen«, bemerkte Sludig, »aber ich muss zugeben, froh zu sein, dass wir die Öde bald hinter uns haben. Ich möchte mich hier nicht auf freiem Feld von irgendeinem Unwetter überraschen lassen, und das dahinten macht einen wirklich unangenehmen Eindruck.« Er spähte nach Süden. »In zwei Tagen haben wir den Aldheorte erreicht. Dort werden wir einigermaßen geschützt sein.«
Binabik seufzte. »Hoffentlich hast du recht. Aber ich fürchte, dass es gegen diesen Sturm keinen Schutz gibt – oder dass der Schutz aus etwas anderem bestehen muss als aus Bäumen oder Dächern.«
»Meinst du die Schwerter?«, erkundigte Simon sich leise.
Der kleine Mann zuckte die Achseln. »Vielleicht. Wenn wir sie alle drei finden, können wir den Winter vielleicht eine Speerlänge von uns auf Abstand halten oder sogar zurückdrängen. Aber zuerst müssen wir den Ort erreichen, den Geloë uns genannt hat. Sonst machen wir uns nur Sorgen um Dinge, die wir nicht ändern können, und das ist Torheit.« Es gelang ihm zu lächeln. »›Wenn du keine Zähne mehr hast‹, sagen wir Qanuc, ›genieß den Brei‹.«Am nächsten Morgen, ihrem siebten in der Öde, kam das schlechte Wetter mit Macht. Zwar blieb der Sturm im Norden immer noch nur ein tintenschwarzer Fleck, der den fernen Horizont verunstaltete, aber über ihnen waren stahlgraue Wolken aufgezogen, deren Ränder der immer steifer wehende Wind in rußige Fetzen zerrissen hatte. Mittags, als die Sonne gänzlich hinter diesem tristen Bahrtuch verschwunden war, fing es heftig an zu schneien.
»Das ist ja fürchterlich!«, schrie Simon, die Augen gegen die stechenden Graupeln zusammengekniffen. Trotz der schweren Lederhandschuhe wurden seine Finger schon allmählich taub. »Wir sehen ja gar nichts mehr! Wollen wir nicht anhalten und uns einen Unterschlupf suchen?«
Binabik, ein kleiner verschneiter Schatten auf Qantaqas Rücken, drehte sich um und rief: »Wenn wir noch ein Stück weiterreiten, erreichen wir das Wegkreuz!«
»Wegkreuz?«, brüllte Sludig. »Hier in der Wildnis?«
»Kommt näher!«, schrie Binabik. »Ich erkläre es euch!«
Simon und der Rimmersmann lenkten ihre Pferde dichter an die voranschreitende Wölfin. Binabik hielt die Hand an den Mund; dennoch drohte das Heulen des Windes ihm die Worte von den Lippen zu reißen. »Unweit von hier, ist meine Vermutung, stößt diese Alte Tumet’ai-Straße auf den Weißen Weg, der am Nordrand des Waldes entlangführt. Vielleicht finden wir am Wegkreuz einen Unterschlupf oder wenigstens dichter beieinanderstehende Bäume, denn der Wald ist dort schon näher. Wir sollten noch eine Weile weiterreiten. Wenn es an der Kreuzung nichts
Weitere Kostenlose Bücher