Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Glühwürmchen, die den gewaltigen Felsen funkeln ließen. Als Gealsgiaths Frachter durch die Hafenrinne glitt, stieg über ihnen die Insel immer weiter in die Höhe, ihr gebirgiger Rücken ein Keil aus Dunkelheit, der endlos nach oben stieß und sogar den Blick auf den nebelverhangenen Himmel versperrte.
Cadrach hatte es vorgezogen, unter Deck zu bleiben. Dagegen hatte Miriamel nicht das Geringste einzuwenden. Sie stand an der Reling und hörte zu, wie die Matrosen in der laternengespickten Dunkelheit durcheinanderriefen und lachten, während sie die Segel einrollten. Stimmen erhoben sich zu rauhem Gesang, der immer wieder abrupt in Flüche und neues Gelächter überging.
Hier im Windschatten der Hafengebäude wehte nur eine sachte Brise. Miriamel spürte, wie ihr eine ungewohnte Wärme vom Rücken bis in den Nacken stieg, und sie wusste, ohne nachzudenken, was das bedeutete: Sie war glücklich. Frei folgte sie ihrem selbstgewählten Weg, und das war schon so lange nicht mehr der Fall gewesen.
Sie hatte Perdruin nicht mehr betreten, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, aber dennoch fühlte sie sich in gewisser Weise, als wäre sie nach Hause gekommen. In ganz früher Jugend hatte ihre Mutter Hylissa sie hierhin mitgenommen, anlässlich eines Besuchs bei ihrer Schwester, der Herzogin Nessalanta, in Nabban. Sie hatten in Ansis Pelippé Station gemacht, um Graf Streáwe einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Miriamel konnte sich kaum daran erinnern – sie war wirklich noch sehr klein gewesen –, aber da hatte es einen alten Mann gegeben, der ihr eine Mandarine geschenkt hatte, und einen von hohen Mauern umfriedeten Garten mit einem gepflasterten Weg. Miriamel war hinter einem langschwänzigen, wunderschönen Vogel hergelaufen, und ihre Mutter hatte Wein getrunken und gelacht und sich mit anderen Erwachsenen unterhalten.
Der freundliche alte Mann musste der Graf gewesen sein, entschied sie. Ganz bestimmt war es der Garten eines reichen Mannes gewesen, in dem sie gesessen hatten, ein in einem Schlosshof verstecktes, sorgsam gehegtes Paradies. Es hatte blühende Bäume gegeben und herrliche silberne und goldene Fische, die in einem Teich schwammen, den man mitten in den Weg gebaut hatte …
Der Hafenwind nahm an Stärke zu und zerrte an ihrem Mantel. Die Reling unter ihren Fingern war kalt. Sie steckte die Hände unter die Arme.
Der Besuch in Ansis Pelippé hatte noch nicht lange zurückgelegen, als ihre Mutter auf eine andere Reise gegangen war, diesmal ohne Miriamel. Onkel Josua hatte Hylissa zu Miriamels Vater Elias bringen wollen, der mit seinem Heer im Felde stand. Es war die Reise gewesen, die Josua zum Krüppel gemacht hatte und von der Hylissa niemals zurückgekehrt war. Elias, fast stumm vor Gram, zu zornig, um mit ihr über den Tod zu sprechen, hatte seiner kleinen Tochter nur erzählt, ihre Mutter könne nie wieder zu ihr kommen. Mit ihrem kindlichen Verstand hatte sich Miriamel ihre Mutter als Gefangene vorgestellt, irgendwo in einem ummauerten Garten, einem wunderschönen Ort, den Hylissa niemals mehr verlassen durfte, nicht einmal, um ihre Tochter zu besuchen, die doch so große Sehnsucht nach ihr hatte …
Viele Nächte hatte diese Tochter wach gelegen, lange nachdem sie von ihren Dienerinnen zu Bett gebracht worden war, hatte hinauf in die Dunkelheit gestarrt und Pläne geschmiedet, ihre verlorene Mutter aus einem blühenden, von endlosen, gepflasterten Wegen durchzogenen Gefängnis zu befreien …
Seitdem war nichts mehr gewesen, wie es sein sollte. Es war, als hätte ihr Vater nach dem Tod ihrer Mutter ein schleichendes Gift getrunken, ein furchtbares Gift, das in ihm schwärte und ihn langsam zu Stein werden ließ.
Wo war er? Was tat Hochkönig Elias in diesem Augenblick?
Miriamel blickte zu der schattendunklen Berginsel auf und spürte, wie ihr kurzer Moment des Glücks fortgerissen wurde, als zerre der Wind ihr ein Tuch aus der Hand. Gerade jetzt belagerte ihr Vater Naglimund und tobte an den Mauern von Josuas Burg seinen schrecklichen Zorn aus. Isgrimnur, der alte Strupp, sie alle kämpften um ihr Leben, während sie hier auf dem düsteren, glatten Rücken des Ozeans an den Lichtern des Hafens vorüberglitt.
Und der Küchenjunge Simon mit dem roten Haar, der so ungeschickt war und es so gut mit ihr meinte – beim Gedanken an ihn durchzuckte sie ein stechender Schmerz. Er und der kleine Troll waren in den pfadlosen Norden geritten und würden vielleicht nie zurückkehren.
Sie
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