Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
plötzlich, wie ihre Liebe zu ihm von der Stelle tief in ihrem Inneren, an der sie sie eingesperrt hatte, brennend emporstieg, eine hilflose Liebe, schmerzhaft und unwiderstehlich wie eine tiefe Traurigkeit. Maegwins Erinnerung flog über ein Dutzend Jahre zurück zu dem Tag, an dem sie ihn das erste Mal gesehen hatte.
Sie war noch ein Mädchen gewesen, aber schon groß wie eine erwachsene Frau, erinnerte sie sich angewidert. In der Halle des Taig hatte sie hinter dem Sessel ihres Vaters gestanden, als der neue Graf von Nad Mullach dort seinen rituellen Treueschwur ablegte. Eolair hatte so jung ausgesehen, schlank und helläugig wie ein Fuchs, und so stolz, dass es fast albern wirkte. Jung ausgesehen? Er war jung gewesen: kaum zweiundzwanzig Jahre alt, voll vom unterdrückten Lachen seiner erwartungsvollen Jugend. Er hatte Maegwins Blick aufgefangen,als sie neugierig hinter der hohen Lehne von Lluths Sessel hervorlugte. Sie war dunkelrot geworden wie ein Beere. Eolair hatte gelächelt und seine weißen, kleinen, scharfen Zähne gezeigt. Ihr war zumute gewesen, als bisse er sanft ein Stück aus ihrem Herzen.
Natürlich – das wusste sie – hatte es für ihn nichts bedeutet. Sie war zwar noch ein Mädchen, aber ihr Schicksal als tolpatschige, altjüngferliche Tochter des Königs bereits vorgezeichnet gewesen: eine Frau, die ihre Aufmerksamkeit an Schweine, Pferde und Vögel mit gebrochenen Flügeln verschwendete und Sachen vom Tisch stieß, weil sie nie daran dachte, sich so graziös zu bewegen, wie es sich für eine Dame gehörte. Nein, er hatte nichts weiter im Sinn gehabt, als ein großäugiges junges Mädchen aufreizend anzulächeln, aber mit diesem ahnungslosen Lächeln hatte Eolair sie für immer in einem unzerreißbaren Netz gefangen …
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als die von Mauern begrenzte Straße, für die sie sich entschieden hatten, vor einem dicken, massiven Turm endete, dessen Außenseite von zierlichem Rankenwerk und durchscheinenden Blüten aus Stein überquoll. Dunkel wie ein zahnloses Maul gähnte eine breite Türöffnung. Eolair warf einen misstrauischen Blick auf den düsteren Eingang, bevor er darauf zuging und hineinspähte.
Das Innere des Turms machte trotz der dichten Schatten einen merkwürdig geräumigen Eindruck. An der einen Innenwand lief eine mit Geröll übersäte Treppe nach oben, während in der Gegenrichtung eine andere Treppe an der Rundung des Turms entlang nach unten führte. Eolair und Maegwin hielten ihre Lampen vor den Eingang und sahen einen Lichtschimmer – nur einen ganz schwachen Glanz –, der die Luft an der Stelle erhellte, wo die nach unten führende Treppe sich im Dunkel verlor.
Maegwin holte tief Atem. Zu ihrem Erstaunen empfand sie keinerlei Furcht an diesem sonderbaren Ort. »Wir kehren um, wann immer Ihr wollt.«
»Diese Treppe ist viel zu unsicher«, meinte Eolair. »Wir sollten jetzt wirklich zurückgehen.« Aber er zögerte, hin- und hergerissen zwischen Neugier und Verantwortungsgefühl. Unstreitig gab es dort unten einen Lichtschein. Maegwin konnte ihren Blick nichtdavon lösen, sagte jedoch nichts. Der Graf seufzte. »Wir gehen noch ein ganz kleines Stück weit hinunter.«
Sie folgten den Stufen. Etwa eine Achtelmeile weit wendelten sie sich in die Tiefe und mündeten schließlich in einen ebenen, breiten, niedrigen Gang. Wände und Decke waren mit ineinander verschlungenen steinernen Ranken, Gräsern und Blumen ausgeschmückt, Bildern einer Vegetation, die nur hoch über ihnen wachsen konnte, unter Sonne und Himmel. Die verwobenen Stränge aus Stengeln und Reben liefen endlos neben ihnen die Wände entlang, ein Teppich aus Stein. Aber obwohl es so unendlich viele Wandplatten waren, schien keine von ihnen der anderen vollständig zu gleichen. Die großen Reliefs waren aus vielerlei Steinarten zusammengesetzt und zeigten eine fast unübersehbare Vielfalt von Farben und Maserungen; aber im Gegensatz zum gemusterten Fußboden bestanden die Wandplatten nicht aus einzelnen Steintafeln. Vielmehr schien der Stein selbst sich in exakte und dem Auge wohlgefällige Formen gelegt zu haben, wie eine von Gärtnern gepflegte und beschnittene Hecke, die die Gestalt eines Vierfüßlers oder Vogels sucht.
»Bei den Göttern der Erde und des Himmel«, hauchte Maegwin.
»Wir müssen umkehren, Prinzessin«, sagte Eolair wenig überzeugend. Hier in der Tiefe schien die Zeit selbst fast zum Stillstand gekommen zu sein.
Sie gingen weiter, stumm in den Anblick
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