Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Kein Mensch!
Ihr Zorn, der in ihr geschwelt hatte und dann in die Höhe gestiegen war wie die Flammen eines vom Wind gepeitschten Feuers, loderte erneut auf, um dann übergangslos zu erlöschen, von ihren Tränen erstickt. Ein schmerzhaftes Schluchzen hämmerte in ihrer Brust.
Cadrach hörte auf zu schnarchen. Vor ihr im Dunkel ertönte seine undeutliche, verdrossene Stimme: »Herrin?«
Miriamel erstarrte, holte dann tief Luft und drosch auf den unsichtbaren Mönch ein. Zuerst streifte sie ihn nur ganz leicht, aber es reichte, um ihn im Dunkel zu orten. Ihr nächster Hieb fand krachenden Widerstand. »Strolch! Hurensohn!«, zischte sie und schlug noch einmal zu.
Cadrach stieß einen erstickten Schmerzensschrei aus und rollte von ihr weg, sodass ihre Finger nur die feuchten Planken des Laderaums trafen. »Warum … warum tut Ihr das?«, murrte er. »Herrin, ich habe Euch das Leben gerettet!«
»Lügner!«, fauchte sie und brach von neuem in Tränen aus.
»O nein, Prinzessin, es ist nichts als die Wahrheit. Es tut mir leid, dass ich Euch niederschlagen musste, aber mir blieb keine andere Wahl.«
»Verdammter Lügner!«
»Nein.« Seine Stimme klang überraschend fest. »Und verhaltet Euch ruhig. Man darf uns hier nicht finden. Wir müssen hier unten bleiben, bis wir uns nach Einbruch der Dunkelheit davonstehlen können.«
Miriamel schniefte erbost und wischte sich mit der Rückseite ihres Ärmels die Nase ab. »Tölpel!«, zischte sie. »Dummkopf! Wohin denn davonstehlen? Wir sind auf See!«
Einen Augenblick herrschte Stille. »Wir können doch nicht …«, sagte der Mönch verdrossen. »Das ist doch gar nicht …«
»Merkt Ihr denn nicht, wie es auf und ab geht? Ihr habt noch nie etwas von Booten verstanden, armseliger Verräter. Das ist kein Schaukeln am Anker im Hafen. Das ist die Dünung des Meeres.« Ihr Zorn verrauchte und ließ sie leer und ratlos zurück. Sie wehrte sich dagegen, ihn zu verlieren. »Und wenn Ihr mir jetzt nicht sagt, wie wir auf dieses Schiff geraten sind und wie wir wieder herunterkommen, werdet Ihr Euch noch wünschen, Ihr hättet Crannhyr nie verlassen – oder wo immer Ihr eigentlich her seid.«
»O Götter meines Volkes«, stöhnte Cadrach. »Ich habe mich wie ein Trottel benommen. Sie müssen abgelegt haben, während wir schliefen.«
»Während Ihr schlieft, Euren Rausch ausschlieft. Mich hattet Ihr bewusstlos geschlagen.«
»Ach, es ist wahr, was Ihr sagt, Prinzessin. Ich wünschte, es wäre anders. Ich habe mich betrunken, um zu vergessen, Herrin, aber es gab auch so viel zu vergessen.«
»Wenn Ihr damit meint, dass Ihr mich geschlagen habt, dann werde ich dafür sorgen, dass Ihr das nicht vergesst.«
Wieder wurde es still im düsteren Laderaum. Als die Stimme des Mönchs sich dann wieder hören ließ, klang sie seltsam wehmütig. »Bitte, Miriamel … Prinzessin … ich habe im Leben viel Unrecht getan, aber diesmal habe ich nur gehandelt, wie ich es für das Beste hielt.«
»Wie Ihr es für das Beste hieltet!«, versetzte sie empört. »Welche Überheblichkeit!«
»Vater Dinivan ist tot, Herrin.« Die Worte kamen hastig. »Und auch Ranessin, Lektor der Mutter Kirche, lebt nicht mehr. Pryrates hat sie umgebracht, mitten im Herzen der Sancellanischen Ädonitis.«
Sie wollte etwas sagen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt.
»Sie sind …?«
»Tot, Prinzessin. Morgen wird die Nachricht sich wie ein Lauffeuer über ganz Osten Ard verbreiten.«
Es war kaum zu fassen, kaum zu begreifen. Der gute, gemütliche Vater Dinivan mit seinem jungenhaften Erröten! Und der Lektor, der alles wieder in Ordnung gebracht hätte, auf irgendeine Weise! Nun würde nichts mehr in Ordnung kommen. Nie mehr.
»Sagt Ihr die Wahrheit?«, fragte sie nach einer Weile.
»Ich wünschte von Herzen, es wäre nicht so, Herrin. Ich wünschte, es wäre nur eine weitere Lüge auf der langen Liste meiner Falschheiten, aber es stimmt leider. Pryrates beherrscht jetzt die Mutter Kirche, oder doch so gut wie. Eure einzigen wahren Freunde in Nabban sind tot, und darum stecken wir jetzt im Laderaum eines Schiffs, das im Dock unter dem Sancellanischen Palast vor Anker lag …«
Der Mönch hatte Mühe, seinen Satz zu vollenden. Der ungewohnte Unterton seiner Stimme überzeugte Miriamel schließlich. Die Finsternis im Schiffsbauch schien noch schwärzer zu werden. In der unendlichen Zeit danach schien es, als kämen alle Tränen, dieMiriamel unterdrückt hatte, seit sie von zu Hause fortgegangen war, auf
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