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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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einmal aus ihr herausgeströmt. Es fühlte sich so an, als sei jenes schwarze Leichentuch der Verzweiflung so riesengroß geworden, dass es die ganze Welt bedeckte.
    »Und wo sind wir nun?«, fragte sie viel später. Die Arme um die Knie gelegt, wiegte sie sich langsam hin und her, um das Schaukeln des Schiffes auszubalancieren.
    Cadrachs klagende Stimme wisperte aus der Dunkelheit: »Ich weiß es nicht, Herrin. Wie ich schon gesagt habe, brachte ich Euch auf ein Schiff, das unter dem Sancellanischen Palast ankerte. Es war ja dunkel.«
    »Ja, aber was war das für ein Schiff? Wie sah es aus? Wessen Zeichen stand auf dem Segel?«
    »Ich verstehe nicht viel von Schiffen, Prinzessin, das wisst Ihr. Es ist ein ziemlich großes Schiff. Die Segel waren eingezogen. Ich glaube, am Bug war ein Raubvogel aufgemalt, aber die Lampen brannten nur ganz matt.«
    »Was für ein Vogel?«, fragte sie drängend.
    »Ein Seefalke, glaube ich, oder so ähnlich. Schwarz und golden.«
    »Ein Fischadler.« Miriamel setzte sich auf und trommelte erregt auf ihrem Bein herum. »Das ist das prevanische Haus. Wenn ich nur wüsste, auf welcher Seite sie stehen! Aber es ist lange her, dass ich hier gelebt habe. Vielleicht waren sie Anhänger meines verstorbenen Onkels, die uns in Sicherheit bringen würden.« Sie lächelte schief, nur für sich selbst, denn der Mönch konnte es in der Dunkelheit nicht sehen. »Aber wo könnte das sein?«
    »Glaubt mir, Herrin«, erklärte Cadrach inbrünstig, »im Augenblick wäre die tiefste, kälteste, dunkelste Kammer von Sturmspitze für uns sicherer als die Sancellanische Ädonitis. Bedenkt, dass man Lektor Ranessin gestürzt und ermordet hat! Könnt Ihr ermessen, wie ungeheuer groß Pryrates’ Macht jetzt sein muss, wenn er es wagt, den Lektor in Gottes eigenem Haus umzubringen?«
    Miriamels Finger stellten jäh das Trommeln ein. »Das ist ein sonderbarer Vergleich. Was wisst Ihr von Sturmspitze und seinen tiefsten Kammern, Cadrach?«
    Der unbehagliche Waffenstillstand zwischen ihnen, auf Schock und Entsetzen gegründet, kam ihr plötzlich leichtsinnig vor. Hinter Miriamels Jähzorn verbarg sich eine ebenso große Furcht. Wer war dieser Mönch, der so viel wusste und sich so merkwürdig benahm? Schon wieder saß sie da und schenkte ihm ihr Vertrauen, obwohl sie doch in einem dunklen Loch steckte, in das er sie gebracht hatte. »Ich habe Euch eine Frage gestellt.«
    »Herrin«, antwortete Cadrach zögernd und suchte nach Worten. »Es gibt viele Dinge …«
    Er verstummte plötzlich. Ein knarrendes Geräusch erfüllte den Laderaum. Der Lukendeckel hob sich, und heller Fackelschein drang ein. Blinzelnd huschten die Prinzessin und Cadrach wieder zwischen die aufgestapelten Kisten und bohrten sich schutzsuchend ins Dunkel wie Würmer auf einer Schaufel mit frisch aufgeworfener Erde. Miriamel erhaschte einen kurzen Blick auf eine verhüllte Gestalt, die rückwärts die Leiter hinabstieg. Sie drückte sich an die Innenwand des Laderaums, zog die Knie ans Kinn und versteckte das Gesicht unter der heruntergezogenen Kapuze.
    Der Eindringling bewegte sich sehr leise und suchte sich vorsichtig seinen Weg zwischen den Proviantstapeln. Miriamels rasendes Herz wollte ihr aus der Brust springen, als die Schritte nur wenige Ellen vor ihr abrupt zum Stehen kamen. Sie hielt den Atem an, bis sie glaubte, ihre angespannten Lungen müssten platzen. In ihren Ohren dröhnte das Rauschen der Wellen laut wie Stiergebrüll, aber darunter schwebte ein eigenartig melodisches Summen wie von schläfrigen Bienen. Dann hörte das Dröhnen auf einmal auf.
    »Warum versteckst du dich hier?«, fragte eine Stimme. Ein trockener Finger berührte ihr Gesicht. Miriamels angehaltener Atem explodierte, und ihre Augen sprangen auf. »Oh!«, rief die Stimme. »Du bist ja noch ein Kind!«
    Die Gestalt, die sich über sie beugte, hatte blassgoldene Haut und große, weit auseinanderstehende, dunkle Augen unter über der Stirn glatt abgeschnittenen weißen Haaren. Sie schien alt und gebrechlich zu sein. Das weite Kapuzengewand konnte die Magerkeit ihres Körper nicht verbergen.
    »Eine Niskie!«, rief Miriamel und hielt die Hand vor den Mund.
    »Und warum nicht?«, fragte die andere und hob die schmalen Brauen. Ihre Haut war von einem Netz feiner Falten überzogen, aber sie bewegte sich geschmeidig. »Wohin gehört eine Niskie, wenn nicht auf ein Tiefwasser-Schiff? Nein, die Frage lautet, fremdes Mädchen, warum du hier bist?« Sie blickte in die

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