Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
ihr wirkten schwer und roh gezimmert. Die Matratze, auf der sie lag, war unglaublich unbequem, und das Zimmer wollte nicht aufhören, sich immer wieder auf das grässlichste schiefzulegen. War sie so betrunken gewesen, dass sie gestürzt war und sich ernstlich den Kopf angeschlagen hatte? Oder hatte sie sich gar den Schädel gebrochen und lag jetzt im Sterben?
Cadrach.
Der Gedanke kam ihr ganz plötzlich. Ihr fiel ein, dass sie ja weder getrunken noch sonstige Rauschmittel zu sich genommenhatte. Sie hatte in Vater Dinivans Arbeitszimmer gewartet und … und …
Und Cadrach hatte sie niedergeschlagen. Er hatte erklärt, sie könnten nicht länger warten. Sie hatte auf dem Gegenteil bestanden. Dann hatte er noch irgendetwas gebrummt und sie mit einem schweren Gegenstand am Kopf getroffen. Ihr armer Kopf! Dabei hatte sie einen törichten Moment lang schon bedauert, dass sie ihn hatte absaufen lassen wollen!
Mühsam kam Miriamel auf die Füße, den Kopf zwischen den Händen, als wollte sie die einzelnen Stücke zusammenhalten. Nur gut, dass sie so zusammengekrümmt dastand; die Decke war so niedrig, dass sie sich gar nicht aufrichten konnte. Und dieses Schaukeln! Elysia, Mutter Gottes, das war ja schlimmer als ein Vollrausch! Verrückt, dass ein Hieb auf den Kopf genügte, um alles so tanzen und wackeln zu lassen. Wirklich, genau wie auf einem Schiff …
Sie war auf einem Schiff, und zwar auf einem Schiff unter Segeln. Jäh wurde aus vielen kleinen Einzelheiten ein unverkennbares Ganzes: die Bewegung des Fußbodens, das leise, aber unmissverständliche Knarren des Gebälks, der dünne, salzige Geruch der Luft. Wie war das möglich?
In der fast völligen Finsternis war kaum etwas zu erkennen, aber soweit Miriamel sehen konnte, war sie umgeben von Kisten und Fässern. Sie steckte, daran gab es keinen Zweifel, im Laderaum eines Schiffs. Während sie mit zusammengekniffenen Augen um sich spähte, drang ein neues Geräusch an ihr Ohr, ein Geräusch, das schon die ganze Zeit da gewesen, von ihr aber nicht wirklich wahrgenommen worden war.
Jemand schnarchte.
Sofort brodelten in Miriamel Wut und Furcht. Wenn das Cadrach war, würde sie ihn finden und erwürgen. Wenn es nicht Cadrach war – barmherziger Ädon, wer konnte sagen, wie sie auf diesem Schiff gelandet war oder was der wahnsinnige Mönch angestellt hatte, um sie beide zu Flüchtlingen zu machen? Wenn sie entdeckt wurde, konnte man sie als blinden Passagier zum Tode verurteilen. Aber wenn es doch Cadrach war – oh, wie sehnte sie sich danach, ihm den schlaffen Hals umzudrehen!
Sie kauerte sich zwischen zwei Kisten; die abrupte Bewegung ließ einen stechenden Schmerz durch ihren Nacken zucken. Langsam und leise kroch sie auf die Quelle der rasselnden Töne zu. Wer immer es war, der dort brummelte und murmelte, er schien einen gesunden Schlaf zu haben; andererseits hatte es keinen Sinn, unnötige Risiken einzugehen.
Ein plötzliches Stampfen über ihr, und sie duckte sich, nicht allein aus Furcht vor Entdeckung, sondern auch wegen des schmerzhaften Geräuschs. Als jedoch außer einigen leiseren Wiederholungen nichts folgte, entschied Miriamel, dass es sich um den gewöhnlichen Betrieb des Schiffs handelte, und fuhr fort, sich durch die Reihen eng aneinandergestapelter Fässer an ihre schlafende Beute heranzupirschen.
Als sie nur noch wenige Ellen von dem Schnarcher trennten, hatte sie keinerlei Zweifel mehr – sie hatte dieses versoffene, alkoholschwangere Sägen in zu vielen Nächten gehört, um sich zu irren.
Endlich hockte sie vor ihm. Mit der Hand ertastete sie den leeren Krug in seiner Armbeuge, mit dessen Inhalt er sich hatte volllaufen lassen. Weiter oben fühlte sie Cadrachs unverwechselbare Züge. Weinsaurer Atem pfiff aus dem geöffneten Mund. Er schnarchte und lallte etwas. Ihn nur anzufassen erfüllte sie mit Wut. Wie leicht war es doch, ihm jetzt mit dem Krug den besoffenen Schädel einzuschlagen oder einen der schiefen Fasstürme über ihm zusammenstürzen zu lassen, damit er ihn zerquetschte wie einen Käfer! Hatte er sie nicht geplagt, seitdem sie ihn überhaupt kannte? Bestohlen hatte er sie und an ihre Feinde verkauft wie eine Sklavin und sie jetzt auch noch niedergeschlagen und mit Gewalt aus Gottes Haus verschleppt. Was immer sie war, was immer aus ihrem Vater geworden war, sie blieb eine Prinzessin vom Blute König Johans des Priesters und seiner Königin Ebekah. Kein Trunkenbold von Mönch hatte das Recht, Hand an sie zu legen! Niemand!
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