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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und Samtschwarz wie der Nachthimmel. Das leise Flüstern ihrer Flügel war überall, als hätte die warme Sommerluft selbst eine Stimme bekommen. Sie bewegten sich langsam und wie schläfrig, waren aber, soweit Simon es sehen konnte, in keiner Weise festgebunden. Wie in unzähligen Splittern vibrierender, beweglicher Farbe brach sich das Sonnenlicht in einem Schatzhaus voller lebender Edelsteine.
    In diesem Augenblick, als Simon das Yásira zum ersten Mal sah, erschien es ihm als atmender, leuchtender Mittelpunkt der Schöpfung. Er blieb stehen und brach in haltloses Weinen aus.
    Jiriki hatte nicht bemerkt, wie vollkommen überwältigt Simon war. »Die kleinen Flügel sind unruhig«, sagte er. »S’hue Khendraja’aro hat bereits gesprochen.«
    Simon schnäuzte sich und wischte sich die Augen. Angesichts des Yásira glaubte er jäh die ganze Verbitterung Inelukis zu verstehen, den Hass des Sturmkönigs auf die kindischen, alles zerstörenden Menschen. Beschämt hörte er Jirikis Worten zu, die wie aus weiter Ferne an sein Ohr drangen. Der Sithiprinz erwähnte seinen Onkel – sprach Khendraja’aro zu den Schmetterlingen? Simon kümmerte es nicht mehr. Es war alles zu viel für ihn. Er wollte nicht mehr denken. Er wollte nichts als sich hinlegen und schlafen.
    Endlich erkannte Jiriki, wie verstört der Junge war. Er fasste Simon vorsichtig am Ellenbogen und führte ihn auf das Yásira zu. Am Eingang des aberwitzigen, herrlichen Gebildes umrahmten mit Schmetterlingen besetzte Schnüre einen hölzernen Torbogen, einen schlichten, von Rosenranken umwundenen, geschnitzten Rahmen. Aditu war schon vorausgegangen. Nun führte Jiriki Simon hinein.
    Hatten die Schmetterlinge von außen durch ihre glänzende Pracht beeindruckt, so war die Wirkung von innen eine ganz andere. Die vielfarbigen Lichtstreifen sickerten durch das lebende Dach, als sei buntes Glas undicht geworden und laufe aus. Die große Esche, die das Rückgrat des Yásira bildete, stand in tausend rasch wechselnde Farben gebadet; wieder musste Simon an einen fremdartigen Wald denken, der unter dem ruhelosen Ozean wuchs. Diesmal allerdings schien diese Vorstellung fast zu viel für ihn. Er hatte das Gefühl zu ertrinken, hilflos in einer Üppigkeit zu versinken, die er nicht völlig fassen konnte.
    Die große Halle war fast kahl. Überall lagen verstreut köstliche Teppiche umher, aber an vielen Stellen wuchs auch das Gras. Hier und da glänzten kleine Tümpel, von Steinen und blühenden Büschen umgeben, ganz wie im Freien. Der einzige Unterschied waren die Schmetterlinge und die Sithi.
    Der Raum war voll von Sithi, Männern und Frauen, in so mannigfaltiger Kleidung wie die Flügelfarben der Schmetterlinge über ihnen. Zuerst einzeln, dann grüppchenweise drehten sie sich nach den Neuankömmlingen um, Hunderte gelassener Katzenaugen, die im unruhigen Licht schimmerten. Aus der Menge stieg ein sachtes Zischen auf, das in Simons Ohren boshaft klang. Er wollte wegrennen und machte sogar einen kurzen, stolpernden Versuch dazu. Aber Jirikis Hand an seinem Arm war ebenso sanft wie fest. Er merkte, dass der Prinz ihn zu einem Erdsockel am Fuß des Baumes führte. Dort stand ein hoher, moosüberwachsener Stein wie ein mahnender Finger, halb im Grasboden versunken. Auf niedrigen Sesseln davor saßen zwei in prachtvolle, lichte Gewänder gekleidete Sithi, ein Mann und eine Frau.
    Der Mann, der ihnen zunächst saß, blickte auf, als Simon und Jiriki näher kamen. Sein hoch auf dem Kopf zusammengebundenes Haar war kohlrabenschwarz, und er trug eine aus weißem Birkenholz geschnitzte Krone. Er hatte die gleichen kantigen, goldenen Züge wie Jiriki, aber es lag etwas Müdes in den Winkeln der schmalen Augen und des dünnen Mundes, das auf ein sehr langes und von großer, verborgener Enttäuschung erfülltes Leben hindeutete. Die Frau links von ihm hatte Haare von tiefem Kupferrot. Auch sie trugeinen Reif aus Birkenholz um die Stirn. In ihren vielen Zöpfen hingen lange weiße Federn, und sie war mit mehreren Armbändern und Ringen geschmückt, die so schwarz glänzten wie das Haar des Mannes neben ihr. Von allen Sithi, die Simon bisher zu Gesicht bekommen hatte, besaß sie die unbeweglichsten Züge, in unirdischer Heiterkeit erstarrt. Mann und Frau umgab eine Aura von Alter, Tiefgründigkeit und Stille, aber es war das Schweigen eines uralten dunklen Teichs im schattigen Wald, die Ruhe eines Himmels voller lauernder Donnerkeile, so als verstecke sich hinter so viel

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