Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
irgendwo auf den Inseln zurücklassen? Unsinn.« Aspitis richtete die braunen Augen auf sie. Miriamel merkte, dass er ein gefährliches Lächeln aufgesetzt hatte, aber es jagte ihr längst nicht so viel Angst ein, wie es sich eigentlich gehört hätte. »Ihr werdet die Reise mit uns machen; danach können wir Euch sicher nach Nabban und an Euren Bestimmungsort zurückbringen. Es sind kaum mehr als zwei Wochen, Herrin, und Ihr sollt es gut bei uns haben, Ihr und Euer Vormund.« Er schenkte auch Cadrach ein kurzes Lächeln, obwohl der Mönch Aspitis’ gute Laune nicht zu teilen schien. »Ich glaube sogar, dass ich ein paar Kleidungstücke an Bord habe, die Euch passen könnten, Herrin. Sie würden Eurer Schönheit besser anstehen als diese … Reisegewänder.«
»Wie schön!«, antwortete Miriamel und erinnerte sich an ihre Geschichte. »Sofern Bruder Cadrach damit einverstanden ist.«
»Ihr habt hier Frauenkleider?«, erkundigte sich Cadrach mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Zurückgelassen von meiner Schwester«, lächelte Aspitis sorglos.
»Eurer Schwester!«, brummte Cadrach. »Aha. Nun, ich werde darüber nachdenken müssen.«
Miriamel wollte gerade den Mönch anschreien, als ihr eben noch rechtzeitig die Situation zum Bewusstsein kam. Sie gab sich Mühe,ein gehorsames Gesicht zu machen und verfluchte ihn im Stillen. Warum sollte sie nicht zur Abwechslung einmal ein paar hübsche Sachen anziehen dürfen?
Während der Graf munter von der großen Burg seiner Familie am Eadne-See zu plaudern anfing – ironischerweise ein Landsitz, auf dem Miriamel als kleines Kind einmal gewesen war, ohne sich jedoch daran zu erinnern –, klopfte es an der Tür. Einer von Aspitis’ Pagen schaute nach.
»Ich möchte den Herrn des Schiffes sprechen«, erklärte eine hauchende Stimme.
»Tritt ein, Freundin«, erwiderte Aspitis. »Ihr kennt einander ja schon. Gan Itai, du warst es, die die Herrin Marya und ihren Vormund gefunden hat, nicht wahr?«
»So ist es, Graf Aspitis«, nickte die Niskie. Ihre schwarzen Augen, in denen sich das Lampenlicht spiegelte, zwinkerten.
»Wenn du die Freundlichkeit hättest, etwas später wiederzukommen«, sagte der Graf zu der Seewächterin, »könnten wir in Ruhe reden.«
»Nein, bitte, Graf Aspitis.« Miriamel stand auf. »Ihr wart sehr liebenswürdig, aber wir dürfen Euch nun nicht länger in Anspruch nehmen. Kommt, Bruder Cadrach.«
»In Anspruch nehmen?« Aspitis legte die Hand auf die Brust. »Soll ich beklagen, dass ich das Opfer so lieblicher Gesellschaft war ? Wirklich, Herrin Marya, Ihr müsst mich für einen ungeschliffenen Tölpel halten.« Er verbeugte sich und griff nach ihrer Hand, um sie für einen langen Augenblick an die Lippen zu führen. »Ich hoffe, Ihr haltet mich nicht für allzu kühn, süße Herrin.« Er schnippte mit den Fingern nach einem Pagen. »Unser junger Thures hier wird Euch Euer Lager zeigen. Ich habe den Kapitän aus seiner Kabine entfernt. Ihr werdet dort schlafen. «
»Aber wir können doch den Kapitän nicht …«
»Er sprach ungefragt und erwies Euch nicht die nötige Achtung, Herrin. Er hat Glück, dass ich ihn nicht hängen lasse – aber ich bin bereit, ihm zu vergeben. Er ist ein schlichter Mann, der keine Frauen auf seinen Schiffen gewöhnt ist. Ein paar Nächte im Gemeinschaftsquartier mit seiner Mannschaft werden ihm nicht schaden.« Er fuhrsich mit der Hand durch das lockige Haar und winkte dann. »Komm, Thures, geleite sie.«
Noch einmal verneigte er sich vor Miriamel und lächelte Cadrach höflich zu. Diesmal erwiderte der Mönch das Lächeln, auch wenn es bei ihm mehr wie ein Zähnefletschen aussah. Der kleine Page, der sorgsam die Laterne vor sich hielt, führte die ihm Anvertrauten hinaus.
Eine Weile stand Aspitis in stummes Nachdenken versunken da. Dann griff er nach dem Weinkrug und goss sich den Pokal wieder voll. Er leerte ihn mit einem einzigen tiefen Zug und sagte schließlich: »Nun, Gan Itai? Es ist ungewöhnlich, dass du zu mir kommst, und noch viel ungewöhnlicher, dass du bei Nacht den Bug verlässt. Sind die Gewässer so ruhig, dass dein Lied nicht gebraucht wird?«
Die Niskie schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, Schiffsherr. Die Gewässer sind sogar äußerst unruhig, aber für den Augenblick sicher. Doch es war mein Wunsch, zu dir zu kommen und dir zu sagen, dass ich besorgt bin.«
»Besorgt? Wegen des Mädchens? Aber Niskies sind doch gewiss nicht so abergläubisch wie Seeleute.«
»Nicht wie Seeleute, nein.«
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