Der Adler ist entkommen
General.«
»Dann beeilen Sie sich.« Als Rivera schon in der Tür stand, meinte Schellenberg: »Ich brauche wohl kaum zu betonen, daß Sie, falls Sie plaudern, in der Spree landen, mein Freund, und Ihren Cousin wird man aus der Themse fischen. Ich habe einen außerordentlich langen Arm.«
»Herr General, ich bitte Sie.« Rivera schickte sich an, lautstark zu protestieren.
»Verschonen Sie mich mit Ihrem Sermon, was für ein guter Faschist Sie doch sind. Halten Sie sich nur vor Augen, wie großzügig ich mich erweisen werde. Das ist eine viel solidere Basis für unsere Beziehung.«
Nachdem Rivera sich verabschiedet hatte, telefonierte Schellenberg nach seinem Wagen, zog den Mantel über und verließ sein Büro.
Admiral Wilhelm Canaris war sechsundfünfzig Jahre alt. Während des Ersten Weltkriegs hatte er als U-Boot-Kapitän hohe Auszeichnungen errungen. Seit 1935 leitete er die deutsche Abwehr, und obgleich er stets aus tiefer Überzeugung die deutsche Sache verteidigt hatte, stand er dem Nationalsozialismus sehr kritisch gegenüber. Er lehnte zwar entschieden jeden Plan zur Ermordung Hitlers ab, pflegte jedoch einige Jahre lang enge Kontakte zur deutschen Widerstandsbewegung. Diese gefährliche Gratwanderung wurde ihm schließlich zum Verhängnis und führte letztendlich zu seinem Sturz und kurz darauf zu seinem Tod.
An diesem Morgen jedoch, während er im Tiergarten zwischen den Bäumen über den Reitweg galoppierte und die Hufe seines Pferdes den pulvrigen Schnee hochschleuderten, genoß er das Leben in vollen Zügen. Die beiden Dackel, die ihn überallhin begleiteten, folgten ihm mit einem erstaunlichen Tempo. Er sah Schellenberg neben seinem Mercedes stehen, winkte und ritt auf ihn zu.
»Guten Morgen, Walter. Sie sollten mitreiten.«
»Nicht heute«, erwiderte Schellenberg. »Ich muß wieder
verreisen.«
Canaris saß ab, gab die Zügel Schellenbergs Fahrer und bot Schellenberg eine Zigarette an. Sie gingen ein Stück Weg bis zu einem Geländer, von dem aus man über den See blicken konnte.
»Ist es etwas Interessantes?« fragte Canaris.
»Nein, reine Routinesache«, sagte Schellenberg.
»Na kommen Sie schon, Walter, raus damit. Irgend etwas beschäftigt Sie doch.«
»Na schön. Es geht um diese Operation Adler.«
»Damit habe ich nichts zu tun«, wehrte Canaris ab. »Das war eine Idee des Führers. So ein Unsinn! Churchill zu ermorden, wo wir doch den Krieg längst verloren haben.«
»Mir wäre es lieber, Sie würden das nicht so laut sagen«, versuchte Schellenberg ihn zu bremsen.
Canaris ignorierte die Warnung. »Ich erhielt den Befehl, eine Durchführbarkeitsstudie anzufertigen. Ich wußte, daß der Führer schon nach wenigen Tagen alles vergessen haben würde. So war es dann ja auch. Nur Himmler vergaß die Angelegenheit natürlich nicht. Er wollte mir das Leben wie üblich schwer machen. Wurde hinter meinem Rücken aktiv, stiftete Max Radl an, einen meiner treuesten Helfer. Daß das ganze Unternehmen in die Binsen ging, habe ich erwartet.«
»Andererseits hat Steiner es beinahe geschafft«, sagte Schellenberg.
»Was hat er geschafft? Walter, seien Sie doch vernünftig, ich will Steiners Verwegenheit und Tapferkeit gar nicht in Abrede stellen, aber der Mann, den sie im Visier hatten, war noch nicht mal Churchill. Das wäre vielleicht was gewesen, wenn sie mit dem Double zurückgekommen wären. Das Gesicht von Himmler hätte ich zu gerne gesehen.«
»Und nun erfahren wir, daß Steiner noch lebt«, sagte Schellenberg. »Daß sie ihn im Tower von London festhalten.«
»Aha, demnach hat Rivera die Nachricht seines Cousin auch
dem Reichsführer zukommen lassen?« Canaris lächelte spöttisch. »Und hat damit wie üblich seine Belohnung verdoppelt.«
»Was meinen Sie, was werden die Briten tun?«
»Mit Steiner? Sie werden ihn einsperren bis zum Kriegsende. Sie werden mit ihm verfahren wie mit Heß, nur werden sie darüber kein Wort verlieren. Das Ganze ist nicht sehr öffentlichkeitswirksam, auch dem Führer dürfte es nicht gefallen, wenn ihm die Fakten bekannt würden.«
»Halten Sie es für wahrscheinlich, daß das passiert?« fragte Schellenberg.
Canaris lachte laut auf. »Meinen Sie durch mich? Darum geht es Ihnen also? Nein, Walter, ich habe zur Zeit schon genug Ärger am Hals und wenig Lust, mir weiteren einzuhandeln. Sie können dem Reichsführer bestellen, daß ich schweigen werde,
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