Der Adler ist entkommen
alles, was Sie wissen müssen.«
»Aber, mein Reichsführer«, erwiderte Schellenberg, dessen Nerven aufs äußerste gespannt waren, »was geschieht, wenn Devlin sich nicht überreden läßt?«
»Dann müssen Sie entsprechende Maßnahmen ergreifen. Für diesen Fall habe ich einen Angehörigen der Gestapo ausgewählt, der Sie als Ihr Leibwächter nach Lissabon begleiten wird.« Er drückte einen Klingelknopf auf seinem Schreibtisch, und Rossmann kam herein. »Rossmann, ich möchte jetzt Sturmbannführer Berger sehen.«
Schellenberg sehnte sich nach einer Zigarette, während sie warteten, wußte aber, wie sehr Himmler das Rauchen mißbilligte. Schließlich ging die Tür auf, und Rossmann erschien mit einem anderen Mann. Seine Erscheinung überraschte Schellenberg ein wenig. Es war ein junger Mann, nicht älter als fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig, mit hellblondem, fast weißem Haar. Früher mußte er sehr gut ausgesehen haben, jetzt wies eine Seite seines Gesichts schwere Verbrennungen auf. Schellenberg konnte erkennen, wo sich die verpflanzte Haut straff spannte.
Der junge Mann streckte ihm die Hand entgegen. »General Schellenberg. Horst Berger. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit.«
Er lächelte und sah dabei mit seinem entstellten Gesicht aus wie der Teufel persönlich, und Schellenberg meinte nur: »Ganz meinerseits, Major.« Er wandte sich an Himmler. »Kann ich jetzt gehen, mein Reichsführer?«
»Natürlich. Berger kommt gleich nach. Schicken Sie mir Rossmann noch einmal herein.« Schellenberg öffnete die Tür, und Himmler fügte hinzu: »Eines noch - Canaris darf nichts erfahren. Nicht von Devlin, nicht von unseren Absichten in bezug auf Steiner, und einstweilen auch nicht von der Konferenz in Belle Ile. Ihnen ist klar, wie wichtig das ist?«
»Natürlich, mein Reichsführer.«
Schellenberg sagte Rossmann Bescheid, er werde erwartet, und ging durch den Korridor. Auf der nächsten Etage fand er eine Toilette. Dort zündete er sich eine Zigarette an, zog den Briefumschlag, den Himmler ihm ausgehändigt hatte, aus der Tasche und öffnete ihn.
DER FÜHRER
General Schellenberg handelt auf meinen direkten und persönlichen Befehl in einer Angelegenheit, die für das Reich von äußerster Wichtigkeit ist. Er ist nur mir verantwortlich. Alle Personen,, aus dem militärischen wie zivilen Bereich und ungeachtet ihres Dienstrangs, werden ihm in jeder Weise behilflich sein, die er für notwendig erachtet.
ADOLF HITLER
Schellenberg fröstelte und steckte das Schriftstück wieder ein. Die Unterschrift sah echt aus, er hatte sie oft genug gesehen, aber es wäre für Himmler ein leichtes, die Unterschrift des Führers auf irgendein Schriftstück zu bekommen bei der Vielzahl von Dokumenten, die er ihm täglich vorlegte. Himmler verlieh ihm also die gleiche Macht, wie er sie Max Radl für die Operation Adler gegeben hatte. Aber warum? Warum war es so wichtig, Steiner zurückzuholen, und das auch noch innerhalb des beschriebenen Zeitrahmens?
Hinter der ganzen Sache mußte weitaus mehr stecken, als Himmler ihm erzählt hatte, soviel war klar. Er zündete sich eine weitere Zigarette an und setzte seinen Weg fort, verlor jedoch am Ende des Korridors die Orientierung. Er zögerte und sah dann, daß der Bogengang am Ende auf die große Empore über dem großen Saal führte. Gerade wollte er sich umdrehen und die andere Richtung einschlagen, als er Stimmen hörte. Neugierig geworden, ging er näher zur Empore heran und blickte vorsichtig hinunter. Himmler stand am Kopfende des großen Tisches, flankiert von Rossmann und Berger, und war am reden.
»Da gibt es welche, Berger, denen sind Menschen wichtiger als Ideen. Sie reagieren sehr schnell sentimental. Sie gehören, wie ich glaube, nicht zu dieser Sorte.«
»Nein, mein Reichsführer«, sagte Berger.
»Unglücklicherweise aber General Schellenberg. Deshalb schicke ich Sie mit nach Lissabon. Dieser Mann, dieser Devlin, hat mitzukommen, ob er will oder nicht. Ich erwarte, daß Sie dafür Sorge tragen.«
»Zweifeln der Reichsführer an der Loyalität von General Schellenberg?« fragte Rossmann.
»Er hat dem Reich große Dienste erwiesen«, sagte Himmler. »Vermutlich ist er der begabteste Offizier, der je unter meinem Kommando gestanden hat, aber ich habe immer Zweifel an seiner Gefolgschaftstreue gegenüber der Partei gehabt. Doch das ist in diesem Fall nicht das Problem, Rossmann. Er ist für
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