Der Adler ist gelandet
Piste, die sich schwarz von einem bleichen Horizont abhoben. Der Wind fegte übers Wasser, und König nahm Fahrt weg, als sie sich der kleinen Bucht näherten. »Du bringst sie rein, Erich.« Müller nahm das Ruder. König zog eine alte Fliegerjacke über, ging hinaus auf Deck, stellte sich an die Reling und rauchte eine Zigarette. Er fühlte sich sonderbar deprimiert. Die Fahrt war zwar reichlich unangenehm gewesen, aber viel Schlimmeres würde ihm bevorstehen. Zum Beispiel die Leute, mit denen er zusammenarbeiten sollte. Ein hochwichtiger Punkt. Er hatte bereits unerfreuliche Erfahrungen in ähnlichen Situationen gesammelt.
Plötzlich schien sich der Himmel zu spalten, und es begann in Strömen zu regnen. Als sie auf die Betonmole zuglitten, erschien ein Kübelwagen auf dem Feldweg zwischen den Dünen. Müller stoppte die Maschinen, lehnte sich aus dem Fenster und brüllte Befehle. Während die Besatzung sich mühte, ein Haltetau auszuwerfen, fuhr der Kübelwagen auf die Mole und hielt an. Steiner und Neumann stiegen aus und gingen bis zum Molenkopf.
»Hallo, König, Sie haben's also geschafft?« rief Steiner fröhlich. »Willkommen in Landsvoort.«
König, der schon halbwegs die Leiter hinaufgeklettert war, war so überrascht, daß er eine Sprosse verfehlte und um ein Haar ins Wasser gefallen wäre. »Sie, Herr Oberstleutnant, aber...« Und dann, als ihm die Bedeutung von Steiners Anwesenheit aufging, lachte er schallend. »Und da lasse ich mir graue Haare wachsen vor Sorge, mit wem ich wohl zusammengespannt werde.« Er kletterte die Leiter vollends hinauf und schüttelte Steiner die Hand.
Es war halb fünf Uhr, als Devlin durch das Dorf und an den Studley Arms vorbeifuhr. Er überquerte die Brücke, und da hörte er Orgelspiel und sah Licht hinter den Kirchenfenstern, sehr undeutlich nur, denn es war noch nicht ganz dunkel. Joanna Grey hatte ihm gesagt, daß die Abendmesse jetzt schon nachmittags abgehalten werde, wegen der Verdunkelung. Als er den Hügel hinauffuhr, fiel ihm Molly Priors Bemerkung ein. Lächelnd hielt er vor der Kirche an. Molly war drinnen, das wußte er, denn das Pony stand geduldig zwischen den Wagendeichseln, die Nase im Futtersack. Außerdem standen zwei Autos da, ein niedriger Lastwagen und mehrere Fahrräder.
Als Devlin die Tür öffnete, zogen Pater Voreker und drei Knaben in purpurroten Röcken und weißen Chorhemden den Mittelgang entlang. Einer der Ministranten trug einen Eimer mit Weihwasser, und Pater Voreker besprengte im Vorbeigehen die Köpfe der versammelten Gemeinde. »Asperges me«, intonierte er, und Devlin schlich sich durch den rechten Seitengang in einen Kirchenstuhl.
Die versammelte Gemeinde bestand aus höchstens siebzehn oder achtzehn Personen. Sir Henry war anwesend, eine Frau, die vermutlich Lady Willoughby war, und neben ihnen saß ein dunkelhaariges Mädchen Anfang Zwanzig in der Uniform des Weiblichen Hilfskorps der Air Force, offenbar Pamela Voreker, die Schwester des Paters, von der ihm Mrs. Grey erzählt hatte. George Wilde und seine Frau waren da. Neben ihnen saß Laker Armsby, sauber geschrubbt, mit steifem weißen Kragen und einem uralten schwarzen Anzug.
Molly Prior saß auf der anderen Seite zusammen mit ihrer Mutter, einer netten, freundlichen Frau in mittleren Jahren. Molly trug einen mit künstlichen Blumen aufgeputzten Strohhut, dessen Krempe sie über die Augen gezogen hatte, und ein geblümtes Baumwollkleid mit stramm geknöpftem Mieder und ziemlich kurzem Rock. Ihr Mantel lag säuberlich gefaltet über der Kirchenbank.
Sie drehte sich plötzlich um und sah ihn. Sie lächelte nicht, sie blickte ihn nur ein, zwei Sekunden an und wandte sich dann wieder ab. Voreker stand in seinem verblaßten rosa Meßgewand vorne am Altar, faltete die Hände und begann: »Ich bekenne vor Gott, dem Allmächtigen, und vor euch, meine Brüder und Schwestern, daß ich gesündigt habe durch meine Schuld...«
Er schlug sich an die Brust, und Devlin, der sehr wohl bemerkte, daß Mollys Augen unter der Krempe des Strohhuts seitwärts lugten, um ihn zu beobachten, tat aus reinem Übermut desgleichen, flehte zur jungfräulichen Mutter Maria, allen Engeln und Heiligen und sämtlichen himmlischen Heerscharen, für ihn zu bitten beim Herrn. Als sie sich auf die Knie niederließ, schien sie sich in Zeitlupe zu bewegen und hob ihren Rock um etwa zwanzig Zentimeter zu weit in die Höhe.
Er mußte sich beherrschen, um nicht laut über diese komische Gespreiztheit zu lachen.
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