Der Adler ist gelandet
jenseits der Grenzen des Möglichen liegen, ihn für dieses eine Mal hinlänglich zu trainieren.«
Neumann wandte sich geschlagen an Steiner. »Was kann ich sonst noch vorbringen?«
»Nichts«, sagte Radl, »denn er wird springen. Er wird springen, weil der Reichsführer das für richtig hält.«
»Um Gottes willen«, sagte Steiner. »Es ist unmöglich, sehen Sie das denn nicht ein?«
»Ich muß morgen früh nach Berlin zurück«, erwiderte Radl. »Kommen Sie mit und sagen Sie's ihm selbst, wenn Ihnen soviel daran liegt. Oder lieber doch nicht...?«
Steiners Gesicht war blaß geworden. »Hol Sie der Teufel, Sie wissen, daß ich es nicht kann, und Sie wissen auch, warum.« Sekundenlang schien ihm das Sprechen schwerzufallen. »Mein Vater - geht es ihm gut? Haben Sie ihn gesehen?«
»Nein«, sagte Radl. »Aber der Reichsführer wies mich an, Ihnen zu sagen, daß Sie in dieser Angelegenheit sein Wort haben.« »Und was, zum Teufel, soll ich damit anfangen?« Steiner holte tief Atem und grinste spöttisch. »Eins jedenfalls weiß ich. Wenn wir... unseren Schatz holen können, dann können wir auch, wann immer es uns paßt, auf einen Sprung im Gestapo-Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße vorbeischauen und uns diesen kleinen Dreckskerl schnappen. Übrigens, wenn ich's recht bedenke, gar keine schlechte Idee.« Er grinste Neumann an. »Was meinen Sie?«
»Sie wollen ihn also haben?« sagte Radl eifrig. »Preston, meine ich.« »Ja doch, ich nehme ihn«, erwiderte Steiner. »Nur, wenn ich mit ihm fertig bin, wird er sich wünschen, er wäre nie geboren.« Er wandte sich an Neumann. »Bringen Sie ihn rein, dann will ich ihm in großen Zügen andeuten, wie's in der Hölle zugeht.«
Während seiner Zeit bei der Schmiere hatte Harvey Preston einmal einen schneidigen jungen britischen Offizier in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs gespielt, eine Rolle in dem großartigen Stück Journey's End. Einen tapferen, kriegsmüden jungen Helden, weit über seine Jahre erfahren, der dem Tod mit zynischem Grinsen auf dem Gesicht und einem erhobenen Glas - zumindest symbolisch - in der rechten Hand ins Auge blickt. Als schließlich die Decke des Unterstands einstürzte und der Vorhang fiel, brauchte er sich nur wieder aufzurappeln, in die Garderobe zu gehen und sich die rote Farbe abzuwaschen.
Aber das hier war kein Spiel. Das hier war rauhe Wirklichkeit. Er war plötzlich krank vor Angst. Nicht, daß er den Glauben an den deutschen Endsieg verloren hätte. Daran gab es für ihn keinen Zweifel. Er wäre nur gern am Leben geblieben, um den glorreichen Tag mitfeiern zu können. Im Garten war es kalt, und er schritt nervös auf und ab, rauchte eine Zigarette und wartete ungeduldig auf ein Lebenszeichen aus dem Bauernhaus. Er hatte Lampenfieber. Endlich erschien Steiner an der Küchentür. »Preston! Kommen Sie rein!« rief er auf englisch.
Dann drehte er sich wortlos um. Als Preston den Wohnraum betrat, sah er Steiner, Radl und Neumann um den Kartentisch stehen. »Herr Oberstleutnant«, begann Preston.
»Schnauze!« erwiderte Steiner eisig. Er nickte zu Radl hinüber. »Erteilen Sie ihm seine Befehle.«
Radl sagte förmlich: »Untersturmführer Harvey Preston vom Britischen Freikorps, von diesem Augenblick an stehen Sie unter dem ausschließlichen und uneingeschränkten Befehl des Herrn Oberstleutnant Steiner vom Fallschirmjäger-Regiment. Und dies auf direkte Weisung vom Reichsführer persönlich. Verstanden?«
Für Preston klangen die Worte Radls wie ein Todesurteil. Auf seiner Stirn stand Schweiß, als er zu Steiner Front machte und stotterte: »Aber, Herr Oberstleutnant, ich bin noch nie mit dem Fallschirm abgesprungen.« »Wenn's sonst nichts ist«, erwiderte Steiner grimmig. »Wir werden Sie schon zurechtschleifen, verlassen Sie sich drauf.«
»Herr Oberstleutnant, ich muß protestieren«, begann Preston, aber weiter kam er nicht, denn Steiner fuhr ihn an: »Mund halten! Und stehen Sie stramm! In Zukunft sprechen Sie nur, wenn Sie angesprochen werden, nicht eher!« Er ging um Preston herum, der stocksteif in Habtacht-Stellung dastand, und blieb hinter ihm stehen. »Im Moment sind Sie weiter nichts als überflüssiger Ballast. Nicht einmal ein Soldat, nur eine schmucke Uniform. Wir müssen dafür sorgen, daß das anders wird, nicht wahr?« Keine Antwort. Steiner wiederholte die Frage leise in Prestons linkes Ohr: »Nicht wahr?«
Es klang unendlich drohend, trotz des sanften Tons, und Preston sagte schleunigst:
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