Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte
Vater Emma-Geschichten anhören. Wie sehr du Schnee liebst, wie du als Kind immer Tiere beerdigt hast, was du selbst für ein Engel wärst. Dass du immer Pech mit â¦Â«
Emma duckte sich unter dem in hohem Bogen heranfliegenden Schneeball, dann stürmte sie auf Murat zu. Im Laufen bückte sie sich, hob mit beiden Händen eine Ladung Schnee auf, und als sie die Plakatsäule erreicht hatte, stopfte sie ihn Murat in den Hemdkragen. Der Engel schüttelte sich wie ein junger Hund, dann stürzte er sich auf sie. Lachend fielen sie in eine Schneewehe, wälzten sich balgend hin und her und blieben schlieÃlich auÃer Atem nebeneinander liegen.
»Was machst du hier?«, fragte Emma.
»Ich weià nicht. Ich hatte so ein Gefühl, dass Monsignore Vitus im Begriff steht, eine Dummheit zu machen. Aber es scheint niemand da zu sein.«
Emma richtete sich auf. Das im Sonnenlicht glitzernde Weià um sie herum tat ihren Augen weh. »Gibt es im Himmel Schnee?«, fragte sie.
Murat schüttelte den Kopf, und einen Moment lang wirkte er fast wehmütig. »Jedenfalls keinen, der liegen bleibt. Aber vielleicht habe ich es auch nur vergessen.«
»Woran erinnerst du dich überhaupt?«
Er antwortete nicht.
»Und Liebe?«, fragte sie. »Erinnerst du dich an die Liebe im Himmel?«
»Der Himmel ist Liebe«, antwortete Murat schnell.
Trotz der Kälte waren die StraÃen voller Spaziergänger. Emma holte eine Pudelmütze aus der Manteltasche und setzte sie auf. Zwischen anderen Paaren und Familien mit Kindern schlenderten sie und Murat dicht nebeneinander durch den wie verzaubert daliegenden Schlosspark hinter dem Ordinariat.
Nach einer Weile zog sich der Himmel zu, und es fing wieder an zu schneien. Plötzlich blieb Murat stehen; seine Wangen waren gerötet vor Kälte, und seine Augen schimmerten, als er sagte: »Ich wusste nicht, dass die Weihnachtszeit auf der Erde so schön sein kann.«
Und ich hatte es vergessen, dachte sie. Und dann dachte sie: Das werde ich nie vergessen, egal, was passiert, egal, ob er ein Engel ist oder nicht. Ich werde es für immer in meinem Herzen bewahren â seine Augen in diesem Moment. Wie sie staunen können.
Sie gab sich einen Ruck. »Hör mal, ich wollte dir sagen, es ist mir egal, ob du mein Schutzengel bist oder nicht. Du bist da, und mein Vater mag dich, und der Monsignore mag dich auch, und vielleicht ist es ja gar nicht deine Schuld, dass ich immer so viel Pech hatte. Die ganze Geschichte wächst mir langsam irgendwie über den Kopf. Sobald wir Kant gefunden haben oder er wenigstens wieder an sein Handy geht, ziehe ich die â¦Â«
»Emma!?«, rief plötzlich eine weibliche Stimme.
»Sera!?«, fragte Emma.
Unversehens stand ihre Freundin vor ihnen: schlank und groà in ihrem langen Uniformmantel, mit Schaftstiefeln, einer Fellmütze auf dem Kopf und Julian Kant am Arm. Seras Augen glänzten wie Glasmurmeln. Sie sah erst Emma an, dann Murat. Unwillkürlich neigte sie sich vor, als fühlte sie eine magnetische Anziehung, der sie sich ebenso wenig zu widersetzen vermochte wie der Schwerkraft. Sie nickte bewundernd, und Em ma konnte den Gedanken lesen, der sich wie ein Neon spruchband über ihr Gesicht zog: Du hast dir so einen Typen geangelt?
»Und wer sind Sie?!«, fragte Sera.
»Das ist Murat, ein Freund«, stellte Emma ihn vor.
»Er ist ein Engel!«, platzte Julian schnell heraus, bevor der Magnetismus zu stark werden konnte. »Wir haben ihn verklagt, Emma und ich, wegen â¦Â«
»Gut, dass ich Sie treffe«, sagte Emma. »Ich habe beschlossen, die Klage fallen zu lassen und â¦Â«
»Sie sind doch nicht wirklich ein Engel!?«, fragte Sera.
»Sehe ich so aus?«, fragte Murat zurück.
»Nein«, sagte Sera. »Ganz und gar nicht.« Dann lächelte sie. »Sind Sie über die Agentur zusammengekommen?«
Das Lächeln versetzte Emma den nächsten Stich. Du bist ja eifersüchtig, stellte sie überrascht fest. Eine Sekunde später flammte vor ihren Augen ein kleiner blauer Blitz auf und gleich darauf noch einer: Kant hatte sein Handy gezückt und ein Foto von Murat und eins von ihr und ihm Seite an Seite gemacht.
»Hey, das ist ja abgefahren!« Er betrachtete das Bild auf dem Display des Handys und runzelte die Stirn. Verdutzt zeigte er es erst Sera, dann Emma.
Auf dem Display konnte man Emma ganz
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