Der Afghane
konnte: reich an Rindern, Ziegen und Schafen. Von ihnen, und durch unermüdliche Pflege und harte Arbeit, bekam man Fleisch, Milch und Felle. Getreidefelder sorgten für Grütze und Brot, und aus den fruchtbaren Maulbeer- und Walnussgärten kamen Obst und Nussöl.
Es gab keinen Grund, das Dorf zu verlassen, und in den ersten acht Jahren seines Lebens tat Izmat Khan es auch nicht. Die fünf Familien hatten eine kleine Moschee, in der sie freitags zum gemeinschaftlichen Gebet zusammenkamen. Izmats Vater war fromm, aber er war keineswegs ein Fundamentalist oder Fanatiker.
Jenseits dieses dörflichen Daseins in den Bergen nannte Afghanistan sich Demokratische Republik, doch wie so oft war diese Bezeichnung auch hier irreführend. Die Regierung war kommunistisch und genoss die massive Unterstützung der UdSSR. In religiöser Hinsicht war das sonderbar, denn die Bewohner des wilden Landesinneren waren traditionell fromme Muslime, für die Atheismus undenkbar war.
Aber die Afghanen in den Städten waren ebenso traditionell gemäßigt und tolerant, und ihren Fanatismus sollte man ihnen erst später überstülpen. Die Frauen waren gebildet, nur wenige verschleierten ihr Gesicht, und Singen und Tanzen waren nicht nur erlaubt, sondern allgemein üblich. Die gefürchtete Geheimpolizei verfolgte diejenigen, die man als politische Oppositionelle verdächtigte, doch Laxheit in religiösen Dingen interessierte sie nicht.
Das Dorf Maloko-zai war auf zweifache Weise mit der Außenwelt verbunden. Zum einen zogen hin und wieder Gruppen von Kuchi-Nomaden mit ihren Maultierkarawanen durch, die die große Landstraße über den Khyberpass mit ihren Polizeistreifen und Grenzposten mieden, wenn sie ihre Schmuggelware nach Parachinar drüben in Pakistan transportierten. Sie brachten Nachrichten aus der Ebene und aus den Städten, von der Regierung im fernen Kabul und aus der Welt jenseits der Hochtäler.
Und dann war da noch das Radio, dieser alte und sorgsam gehütete Schatz. Es krächzte und rauschte, aber dann kamen Worte heraus, die sie verstanden. Was sie hörten, war das Paschto-Programm der BBC, das den Paschtunen eine nichtkommunistische Version der Welt lieferte.
Es war eine friedliche Kindheit. Dann kamen die Russen.
Für die Leute in Maloko-zai war es kaum von Bedeutung, wer Recht und wer Unrecht hatte. Sie wussten nicht – und es kümmerte sie auch nicht –, dass ihr kommunistischer Präsident den Unwillen seiner Mentoren in Moskau erregt hatte, weil er sein Land nicht unter Kontrolle bringen konnte. Wichtig war nur, dass eine ganze sowjetische Armee aus Usbekistan über den Fluss Amu Darya gerollt und donnernd über den Salangpass gekommen war, um Kabul zu besetzen. Es ging (noch) nicht um den Kampf zwischen Islam und Atheismus. Es war eine Beleidigung.
Izmat Khans Schulbildung war sehr schlicht gewesen. Er hatte die Koran-Verse gelernt, die man zum Gebet brauchte, obwohl sie in einer Sprache namens Arabisch verfasst waren und er sie nicht verstand. Der Imam wohnte nicht im Dorf; es war Nuri Khan, der die Gebete leitete, und er hatte die Jungen des Dorfes in den Grundlagen des Lesens und des Schreibens unterrichtet, aber nur auf Paschto. Und Izmats Vater hatte ihm die Regeln des Pukhtunwali beigebracht, des Gesetzes, nach dem ein Paschtune zu leben hatte. Ehre, Gastfreundschaft, die Notwendigkeit, erlittene Beleidigungen zu rächen – das waren die Paragrafen dieses Gesetzes. Und Moskau hatte sie beleidigt.
Der Widerstand begann in den Bergen, und die Widerstandskämpfer nannten sich »Gotteskrieger«, Mudschaheddin. Aber zuerst mussten die Männer aus den Bergen zu einem Rat zusammentreten, zu einer shura, um zu entscheiden, was sie tun würden und wer sie führen sollte.
Sie wussten nichts vom Kalten Krieg, doch man sagte ihnen, sie hätten jetzt mächtige Freunde: die Feinde der UdSSR. Das leuchtete ein: Der Feind meines Feindes … An erster Stelle unter ihnen stand das benachbarte Pakistan, regiert von dem fundamentalistischen Diktator Zia-ul-Haq. Trotz aller religiösen Differenzen hatte er sich mit der christlichen Macht Amerika und mit dessen Freunden, den Anglies, verbündet, ihren ehemaligen Feinden.
Mike Martin hatte Pulverdampf gerochen, und es hatte ihm gefallen. Er wurde in Nordirland gegen die IRA eingesetzt, aber die Bedingungen waren jämmerlich, und trotz der beständigen Gefahr, eine Scharfschützenkugel in den Rücken zu bekommen, waren die Patrouillen langweilig. Er sah sich um und bewarb
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