Der Afghane
Hier gibt es keine Straßen, sondern nur einen oder zwei Pfade, und nur im äußersten Süden, in der Nähe des Hart's Pass, stehen ein paar Blockhütten.
Im Winter wie im Sommer wimmelt es hier von Groß- und Kleinwild. Die wenigen Hüttenbesitzer verbringen den Sommer in der Wilderness, aber dann drehen sie sämtliche Hähne zu, schließen ab und ziehen sich in ihre Stadthäuser zurück. Wahrscheinlich gibt es im Winter in den ganzen USA keine trostlosere, einsamere Gegend, vielleicht mit Ausnahme einer Landschaft im nördlichen Vermont, die unter dem Namen »the Kingdom« bekannt ist und wo ein Mann einfach verschwinden kann und im Tauwetter des Frühlings steinhart gefroren wieder gefunden wird.
Vor etlichen Jahren war eine abgelegene Blockhütte auf den Markt gekommen, und die CIA hatte sie gekauft. Es war ein spontaner Kauf, den man nachher bereute, und gelegentlich nutzten leitende Agenten die Hütte für einen Sommerurlaub. Im Oktober, als Marek Gumienny sich nach geeigneten Häusern erkundigte, war sie verschlossen und verriegelt. Trotz des nahenden Winters und der damit verbundenen Kosten verlangte er, dass sie wieder geöffnet und umgebaut wurde.
»Wenn Sie so was wollen«, wandte der Leiter der Immobilienverwaltung ein, »warum nehmen Sie dann nicht das Northwest Detention Center in Seattle?«
Das Northwest Detention Center war eine Abschiebehaftanstalt für illegale Einwanderer. Obwohl er mit einem Kollegen sprach, blieb Gumienny nichts anderes übrig, als zu lügen.
»Es geht nicht darum, eine hochkarätige Person vor neugierigen Augen zu schützen oder an der Flucht zu hindern«, sagte er. »Ich muss ihre persönliche Sicherheit garantieren. Auch in Hochsicherheitsgefängnissen hat es schon Todesfälle gegeben.«
Der Verwalter der sicheren Häuser verstand. Zumindest glaubte er es. Absolut und ganz und gar unsichtbar, absolut und ganz und gar ausbruchsicher. Total abgeschieden und eigenständig für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten. So etwas war eigentlich nicht seine Spezialität. Er zog das Team heran, das die Sicherheitsmaßnahmen für das furchterregende Hochsicherheitsgefängnis in Pelican Bay in Kalifornien entwickelt hatte.
Die Hütte war schon jetzt praktisch unerreichbar. Eine primitive Straße führte von dem Städtchen Mazama ein paar Meilen weit nach Norden und endete dann, immer noch zehn Meilen weit von der Hütte entfernt. Die einzige Möglichkeit waren umfangreiche Hubschraubertransporte. Marek Gumienny requirierte einen Chinook-Schwerlast-Helikopter von der McChord Air Force Base südlich von Seattle, der als Lastgaul dienen sollte.
Der Bautrupp kam von den Pionieren, das Material wurde nach vorheriger Beratung durch die State Police am Ort gekauft. Jeder wusste nur so viel, wie für seine Arbeit nötig war, und der Legende zufolge wurde die Hütte zu einem Ultrahochsicherheits-Forschungszentrum umgebaut. In Wahrheit baute man hier ein Gefängnis für einen einzelnen Mann.
In Castle Forbes lief das Trainingsprogramm auf Hochtouren und wurde von Tag zu Tag intensiver. Mike Martin musste seine westliche Kleidung gegen Gewand und Turban eines paschtunischen Stammesangehörigen tauschen. Sein Bart und seine Haare mussten so lang wachsen, wie die Zeit es zuließ.
Die Haushälterin durfte bleiben. Sie war nicht im Geringsten daran interessiert, wer die Gäste des Lords waren, ebenso wenig wie Hector, der Gärtner. Der Dritte, der blieb, war Angus, der ehemalige SAS-Sergeant, der jetzt als Lord Forbes' Grundstücksverwalter fungierte. Sollte irgendein Unbefugter das Gelände betreten wollen, wäre er schlecht beraten, solange Angus hier unterwegs war.
Zahlreiche »Gäste« kamen und gingen, und nur zwei von ihnen mussten dauerhaft anwesend sein. Der eine war Najib Qureshi, ein geborener Afghane, der als Lehrer in Kandahar gearbeitet hatte. Er hatte in Großbritannien Asyl gesucht und war inzwischen eingebürgert, und er arbeitete als Übersetzer im Regierungsdienst in Cheltenham. Man hatte ihn von seinen Dienstpflichten beurlaubt und nach Castle Forbes versetzt. Jetzt arbeitete er als Sprachlehrer und Coach in allen Verhaltensformen, die man von einem Paschtunen erwarten würde. Von ihm lernte Mike Martin die Körpersprache und Gestik, wie man auf den Fersen hockte, wie man aß, wie man ging, und welche Haltungen man beim Gebet einnahm.
Die andere war Dr. Tamian Godfrey. Sie war Mitte sechzig, trug ihr eisengraues Haar in einem Knoten im Nacken und war jahrelang mit
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