Der Agent - The Invisible
man darüber wissen kann.«
»Okay«, sagte sie, obwohl offensichtlich war, dass sie ihm kein Wort glaubte. »Entschuldigen Sie, dass ich das Thema angeschnitten habe.«
»Schon gut«, antwortete Kealey, mit der Hand durch sein Haar fahrend. Er versuchte, sich zu beruhigen und sich ins Gedächtnis zu rufen, dass sie nur eine unschuldige Frage gestellt hatte. Er musste mit ihr arbeiten, vielleicht für einen längeren Zeitraum. Außerdem war die wirkliche Ursache für seine schlechte Laune das Gespräch mit Harper. Pétain hatte nichts damit zu tun.
»Hören Sie, es tut mir leid, dass ich Sie so angefahren habe«, sagte er. »Es ist nur ein heikles Thema.«
»Verstehe.« Sie lächelte schüchtern. »Entschuldigen Sie. Ich wollte nicht weiterbohren, aber es interessierte mich.« Sie schwieg kurz. »Ich packe schon mal die Taschen ins Auto. Wir treffen uns dann dort.«
Er sah sie von Kopf bis Fuß an und schüttelte den Kopf. »Besser, Sie ziehen sich erst mal um. Die Klamotten können Sie in Lahore nicht tragen.«
Sie blickte stirnrunzelnd an sich herab, und Kealey erkannte, dass sie nicht begriff, was er meinte. »Ziehen Sie eine dunkle Bluse an, ohne die Ärmel aufzukrempeln. Die Klunker sind auch überflüssig. Flache Absätze und Jeans. Haben Sie einen Schal? Irgendwas, womit Sie Ihr Haar bedecken können?«
»Ich denke schon. In den späten Achtzigern war mein Vater für zwei Jahre in Islamabad. Offiziell gehörte er zu den Angestellten der Botschaft. Bei seiner Rückkehr hat er ein paar Souvenirs mitgebracht, unter anderem ein Kopftuch. Es müsste hier irgendwo sein.«
»Dann suchen Sie es«, sagte er. »Sie werden es brauchen. Unser Ziel ist es, in Pakistan so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf uns zu ziehen. Alles andere besprechen wir auf der Fahrt zum Flughafen.«
»In Ordnung.« Sie ging zum Haus zurück, und er blickte ihr nach. Als sie die Terrassentür fast erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal um. »Noch was, Kealey.«
»Ja?«
Sie lächelte schwach, und ihre Augen funkelten. »Ohne Bart sehen Sie tausendmal besser aus.«
Damit hatte er absolut nicht gerechnet, es kam völlig überraschend. Er stammelte verlegen vor sich hin, doch sie hatte
sich bereits abgewandt. Dann war sie verschwunden, und die Tür fiel leise hinter ihr ins Schloss.
Er seufzte tief, als die Anspannung nachließ. Pétain hatte ein Thema angeschnitten, das ihm zu naheging, wahrscheinlich mehr, als ihr bewusst war. Größtenteils hatte er die Wahrheit gesagt. Die Geschichte mit Vanderveen war für Naomi eine traumatische Erfahrung gewesen, aber etwas anderes war noch schlimmer. Die Tatsache, dass sie eine unschuldige Frau getötet hatte, war nie ans Licht gekommen, nicht einmal Harper kannte die Wahrheit. Kealey hatte alles getan, um ihre Tat zu vertuschen, und Naomi hatte sich zögernd darauf eingelassen.
Vermutlich war gerade die Vertuschung des Vorfalls für sie ein größeres Problem als die Tatsache, dass sie abgedrückt hatte, denn so musste sie lügen. Durch die Vertuschung wurde die Tat - zumindest für Naomi - eher zu einem Mord, während sie tatsächlich auf einem Irrtum und nicht auf Vorsatz beruhte. Letztlich lief es immer wieder darauf hinaus, was sie dachte und wie sie die Sache sah.
Als er darüber nachdachte, bemerkte er plötzlich, dass er auf das Fenster ihres Zimmers im ersten Stock schaute. Sie war nicht zu sehen. Wahrscheinlich schläft sie wieder, dachte er. Sein Blick glitt über die anderen Fenster, und hinter der Scheibe des letzten glaubte er eine Silhouette zu erkennen. Es war schwer zu sagen, da das Sonnenlicht auf dem Glas funkelte, aber es schien tatsächlich so zu sein, dass dort jemand stand und zu ihm hinunterblickte. Dann war die Gestalt urplötzlich wieder verschwunden.
Er stand noch einen Augenblick da und dachte nach. Als er zum Haus ging, musste er daran denken, was der nächste
Tag bringen würde. Es war alles reine Spekulation. Nur eines war sicher. In nicht einmal zwanzig Stunden würden sie sich in einer feindlichen Umgebung wiederfinden. Was immer geschah, die Situation würde extrem riskant sein, und sie durften sich keinen Fehler leisten.
29
Sialkot
Randall Craig stand unter einer großen alten Akazie hinter dem Haus und rauchte eine von Said Kureshis englischen Zigaretten. Die Operation war gut gelaufen, so gut, wie man nur hoffen konnte, und allmählich ließ die Anspannung nach, was mit Sicherheit auch am Nikotin lag. Aber die Angst hatte nicht
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