Der Agent - The Invisible
Hochdruckfront über dem Schwarzen Meer kräftig durchgeschüttelt wurde. Kealey saß im hinteren Teil des Flugzeugs und sah mehrfach, wie Pétain, die weiter vorn saß, aufsprang und zur Toilette rannte. Auf dem Rückweg wirkte sie jedes Mal so, als hätte sie sich übergeben müssen, und ihr Gesicht war noch blasser als sonst. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund, als befürchtete sie, es könnte gleich von vorn losgehen. Normalerweise hätte ihn die etwas theatralische Geste eher amüsiert, aber ihm entging nicht, dass sie die Aufmerksamkeit der anderen Passagiere auf sich zog. Jedes Mal, wenn sie wieder aufsprang und lossprintete, hätte er am liebsten ihr Haar gepackt und sie zurückgehalten. Die Operation hatte noch nicht einmal begonnen, und schon verhielt sie sich auf eine Weise, die anderen im Gedächtnis bleiben würde. Ihm wäre es lieber gewesen, sie nicht mitnehmen zu müssen, doch das war nichts Neues. Er hatte es schon von dem Augenblick an so gesehen, als Machado sein Angebot machte.
Das Angebot. Genau darüber musste er die ganze Zeit nachdenken. Informationen und eine direkte Verbindung zu Benazir Mengal für … Für welche Gegenleistung ? Was wollte Machado? Er wusste es einfach nicht, und es machte ihn wahnsinnig. Er verstand nicht, was Machado davon hatte, wenn er
Marissa Pétain nach Pakistan mitnahm. Dafür musste es einen Grund geben. Machado war einer der bekanntesten Agenten der CIA gewesen, natürlich nur innerhalb jenes kleinen Kreises von Leuten, die wussten, was er in dreißig Jahren für die operative Abteilung geleistet hatte. Was für ein Interesse hatte er an dieser Geschichte?
Er dachte immer noch darüber nach, als die Maschine - ein UZB Airbus A310-300 - aufsetzte und ausrollte. Nach ein paar Augenblicken stand sie, das Licht für die Sicherheitsgurte ging aus. Als die anderen Passagiere aufsprangen und ihre Handys suchten, blieb er sitzen. Er zog es vor, als Letzter aus einem Flugzeug auszusteigen und auch ganz am Schluss an Bord zu gehen. Mit dem Job hatte das nichts zu tun, er mochte einfach keine Warteschlangen. Besonders keine, die endlos lang waren.
Als der letzte Passagier den Mittelgang hinabging, griff er nach seinem Bordcase, der nur einen Satz Reserveklamotten und ein Taschenbuch enthielt, aber es war immer besser, einen dabeizuhaben, besonders auf langen Flügen. Ein Bordcase gehörte zu den Dingen, die andere zu sehen erwarteten, und in den Jahren seit dem 11. September 2001 achteten die Leute - insbesondere Flugreisende - erstaunlich genau auf ihre Umgebung. Nicht alle, aber genug. Ein Grund mehr, unauffällig zu agieren.
Kurz darauf stand er in dem klimatisierten Terminal, und von Pétain war nichts zu sehen. Also suchte er die nächste Damentoilette und postierte sich an einer Stelle, von wo aus er den Eingang im Auge behalten konnte. Es dauerte nicht lange, bis sie aus der Tür trat. Sie sah ihn und kam auf ihn zu. Ihm blieb nicht verborgen, dass sie immer noch auf wackeligen Beinen ging und sehr blass war.
»Das war der übelste Flug meines Lebens«, stöhnte sie, den Gurt ihres Bordcase justierend. Vor ihrem Aufbruch aus Cartagena hatte sie eine beigefarbene Leinenhose, eine schwarze Bluse und weiße Turnschuhe angezogen, und sie trug ein in verschiedenen Nuancen von Violett und Blau gemustertes, hauchdünnes Kopftuch. Für Kealeys Geschmack waren die Farben etwas zu kräftig, aber es war besser als nichts. Schon bald würden sie eine Gelegenheit finden, ein weniger auffälliges Kopftuch zu kaufen. Glücklicherweise ließ die weit geschnittene Bluse ihre Brüste nicht allzu sehr hervortreten. Er selbst trug noch immer das anthrazitfarbene T-Shirt und die dunkle Jeans, die er schon in Cartagena angehabt hatte.
»Ich habe die ganze Zeit gedacht, mein Magen müsste leer sein«, sagte Pétain. »Dann ging es wieder los. Keine Ahnung, was ich da erbrochen habe …«
Sie bahnten sich ihren Weg zur Gepäckabholung. Wie die Bordcases enthielten auch die aufgegebenen Reisetaschen nichts, das man nicht im Notfall problemlos zurücklassen konnte - ein paar Kleidungsstücke und Toilettenartikel. Was sie unbedingt brauchten, Pässe und Geld, trugen sie am Leib, genau wie die anderen Mitglieder des Teams. Paul Owen, der für diese Operation zur CIA abkommandierte Colonel der Delta Force, hatte es bereits geschafft, ein Satellitentelefon für Kealey zu besorgen. Laut Harper lag es in einem Schließfach am Bahnhof, etwas östlich der Innenstadt von Lahore. Der
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