Der Agent - The Invisible
heranzukommen. Statt auf Kealeys Worte einzugehen, zeigte er in Richtung Theke. »Sehen Sie die Frau da?«
Kealey drehte sich um und betrachtete zum ersten Mal die kleine, schlanke Person an der Bar. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, und doch war sofort alles klar. Plötzlich war er wie benommen, es war, als würde er keine Luft mehr bekommen. Das hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen.
»Deshalb«, antwortete Harper. Seine Stimme verriet einen Unterton von Bedauern, als hätte er sich unberechtigterweise in etwas eingemischt, das ihn nichts anging. »Deshalb.«
3
Islamabad, Pakistan
Das zweistöckige Haus stand im Sektor G7/1 von Islamabad und war nur eines von vielen ähnlichen Gebäuden an der Khayaban-e-Suharwardy, einer der Hauptstraßen am südlichen Rand der Hauptstadt Pakistans. Auf dem zur Eckwohnung gehörenden Balkon im zweiten Stock, dicht an der Stelle, wo die Durchgangsstraße auf die Sahar Road stieß, hob ein Mann mit zittriger Hand eine Zigarette an die Lippen. Während er den beruhigenden Rauch inhalierte, blickte er auf die grünen Rasenflächen und die schmalen Kanäle des Sektors H7. In der Ferne sah er die Lichter des Rosen- und Jasmingartens und dahinter die dunklen Umrisse der Sportanlagen. Es war eine warme Nacht, und um drei Uhr morgens waren praktisch keine Autos mehr unterwegs. Alles war ruhig und friedlich, ein krasser Gegensatz zu den lärmerfüllten Tagen. Durch die offene Balkontür hörte er, wie sich seine Frau im Schlaf bewegte und leise stöhnte. Dann war wieder alles still.
Naveed Jilani, der schon immer an Schlaflosigkeit gelitten hatte, trat während der frühen Morgenstunden häufig auf den Balkon, um nachzudenken. Heute ging es allerdings nicht nur darum. Stattdessen war er ganz auf den vor ihm liegenden Tag konzentriert. Während der letzten zwei Wochen waren die Angst und der Stress schlimmer geworden, und er wusste, dass es ihm nicht gelungen war, es zu verbergen. Er hatte keine Ahnung, wann es seiner Frau zuerst aufgefallen war, doch es
schien ihm ziemlich sicher, dass sie es von Anfang an registriert hatte. Parveen war ein guter Mensch, eine gute Ehefrau und eine fürsorgliche Mutter für ihren dreijährigen Sohn. Sie war an seine düsteren Stimmungen und Schweigsamkeit gewöhnt und wusste, wann sie ihn in Ruhe lassen musste. Als hingebungsvolle Frau hatte sie versucht, den Stress auf andere Weise zu lindern, doch auch zärtliche Berührungen im Bett hatten es nicht vermocht, seine Ängste zu beschwichtigen. Es ging um etwas, das er ihr nicht hätte erklären können. Sie hätte es nicht verstanden, und er hatte nicht vor, sie durch den wahren Grund seiner Angst zu verstören. Ohnehin hätte sie nichts daran ändern können, er konnte nicht ihr die Schuld dafür geben. Selbst in den frühen Morgenstunden nicht, wenn er Reue und Verbitterung am intensivsten empfand. Manchmal kam es ihm so vor, als wäre sein ganzes Leben auf diesen Punkt zugelaufen, und es gab nichts, wodurch er - oder sonst jemand - irgendetwas daran hätte ändern können.
Er war 1975 in der Stadt Quetta geboren worden, knapp hundertfünfzig Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt. Als er zehn Jahre alt war, starb seine Mutter an Krebs, und da sein Vater weder Geld noch Interesse an seinem Sohn hatte, lebte er bei seinem Onkel in den Slums von Karatschi. Zu dem Zeitpunkt, als sein Neffe bei ihm auftauchte, hatte es in Syed Jilanis Leben schon etliche Fehlschläge gegeben, doch zwischen 1979 und 1984 waren ihm in Afghanistan einige Erfolgserlebnisse zuteil geworden, wo er sich im Kampf an der Seite der Mudschaheddin bewährte. In den darauffolgenden Jahren wuchs sein Hass auf die Vereinigten Staaten, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass diese die afghanischen Fundamentalisten während ihres langjährigen Kampfes gegen die Sowjets mit Waffen und Geld unterstützt hatten. Trotzdem
hinderte ihn seine Aversion gegen den Westen nicht daran, von den amerikanischen Waffen und der Munition zu profitieren, die nach dem Konflikt in Afghanistan zurückgeblieben waren. Es war ein gefährliches, illegales Geschäft, das allein nicht zu bewältigen war, und als er 1997 damit begann, Waffen aus Afghanistan in die Nachbarländer Iran und Pakistan zu schmuggeln, wusste Syed Jilani genau, wen er um Hilfe bitten musste.
Während seiner Zeit in Afghanistan hatte er dauerhafte Beziehungen zu Männern geknüpft, die wussten, wie sie ihre Position nutzen konnten, um sich finanziell zu bereichern. Einer
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