Der Agent - The Invisible
hätten, an jenem Tag, als auch ich sie zum ersten Mal wiedersah, wüssten Sie jetzt, wovon ich rede. Mit anderen Worten, mir blieb keine andere Wahl. Genau das sollten Sie verstehen. Ich konnte sie nicht im Stich lassen angesichts all dessen, was sie für uns getan hat. Nicht nach den Opfern, die sie gebracht hat.«
Harper legte eine Pause ein, um Kealeys Reaktion einzuschätzen. Als der nichts sagte, rutschte er auf seinem Stuhl hin und her und fuhr dann fort.
»Sie wollte nicht nach Langley kommen. Zumindest nicht sofort und nicht als Besucherin. Also haben wir uns in einem Café in Georgetown getroffen. Es war ein ziemlich kurzes Gespräch, und meistens hat sie geredet. Sie wollte wieder bei uns einsteigen, aber weder nach London noch zur Antiterrorabteilung zurück. Sie wollte etwas Neues ausprobieren, und ich habe es möglich gemacht.«
»Was?«
Es schien, als hätte Harper Kealeys Frage nicht gehört. »Ehrlich gesagt habe ich keinen Moment gezögert, das für sie zu regeln«, fuhr er fort. »Ihre Qualifikation war hervorragend. Sie wissen, was ich meine, Sie haben lange genug mit ihr gearbeitet.
Zum einen ist da ihre außergewöhnliche Begabung für Fremdsprachen. Wirklich erstaunlich, auf dem Gebiet ist sie ein Naturtalent …«
»Was wollen Sie mir sagen?«, unterbrach Kealey, der sich keine Mühe gab, seine wachsende Verärgerung zu kaschieren. Er konnte nicht fassen, dass man ihn nicht eher eingeweiht hatte. »Was genau wollte sie von Ihnen?«
»Eine Fortbildung«, antwortete Harper beiläufig.
Kealey wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Während er noch damit beschäftigt war, die rätselhafte Antwort zu interpretieren, stand Harper auf und griff nach seiner Jacke.
»Den Rest kann sie Ihnen erklären. Was unser erstes Thema betrifft, sollten Sie wissen, dass für morgen Abend ein Flug für Sie gebucht ist. Das verpflichtet Sie zu nichts. Denken Sie in Ruhe darüber nach, aber bis morgen Mittag muss ich wissen, wie Sie sich entschieden haben. Dann geht der letzte Bus nach Keflavík. Noch etwas …«
»Ja?«
»Gehen Sie nicht zu hart mit ihr ins Gericht. Sie braucht unsere Hilfe.«
Bevor er die Bar verließ, hatte Harper Kharmai noch ein paar Worte ins Ohr geflüstert, doch das war jetzt fünf Minuten her, und sie hatte sich immer noch nicht gerührt. Nicht einmal über die Schulter geblickt. Da Kealey ihr Gesicht nicht sah, konnte er nicht erraten, was sie beschäftigte. Aber er konnte ihre Körpersprache deuten, und ihre verkrampfte Haltung sagte eine Menge. Sie schien ein Glas hin und her zu schieben, als würde sie einen Gedanken von allen Seiten beleuchten oder darüber nachdenken, wie sie mit diesem unerwarteten Wiedersehen klarkommen sollte.
Unerwartet nur von meiner Seite, korrigierte Kealey sich. Sie musste seit einiger Zeit gewusst haben, dass dieses Ereignis auf sie wartete. Er sehnte sich verzweifelt danach, aufzuspringen und zu ihr zu gehen, aber es war besser, sie den ersten Schritt tun zu lassen. Sie hatten sich ein halbes Jahr nicht gesehen, und es war sinnlos, jetzt voreilig zu reagieren.
Es gab so vieles, das er verarbeiten musste. Ihr plötzliches Wiederauftauchen war völlig unerwartet gekommen, und er wusste immer noch nicht, wie er damit umgehen sollte. Unglücklicherweise blieb ihm keine Zeit mehr, die Dinge weiter zu durchdenken. Unvermittelt stieg Naomi von ihrem Barhocker und kam auf ihn zu. Ein paar Augenblicke später nahm sie auf dem Stuhl Platz, auf dem gerade noch Harper gesessen hatte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete ihn mit einem festen Blick. Ihre Lippen waren zusammengekniffen. Nichts an ihrer Miene wirkte so, als hätte sie sich für etwas zu entschuldigen. Eher schien es, als wäre sie wütend auf ihn , worauf er sich überhaupt keinen Reim machen konnte.
»Naomi.« Er schüttelte den Kopf, wusste nicht, was er sagen sollte. »Ich kann es nicht fassen. Ich meine, wir haben uns ein halbes Jahr nicht gesehen, und du …«
»Ich weiß. Es war nicht meine Absicht, dich zu überrumpeln. Hat sich einfach so ergeben.«
»Wie ist es dir ergangen?«
Sie öffnete den Mund, als wollte sie antworten, überlegte es sich aber anders und wandte den Blick ab. Es war eine ehrlich gemeinte, auf der Hand liegende Frage, aber entscheidend war die Art und Weise, wie er sie gestellt hatte. Die in seiner Stimme liegende Besorgnis hätte nicht aufrichtiger sein können, und ihr Stirnrunzeln ließ ihn vermuten, dass er sie damit überrascht
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