Der Agent - The Invisible
gute Beziehung. Ist das jetzt vorbei? Wolltest du mir das beibringen?«
Sie ließ sich lange Zeit mit ihrer Antwort, doch über ihr Gesicht huschte ein vertrauter Ausdruck. Für einen kurzen Augenblick hatte er das Gefühl, derselben Person gegenüberzusitzen wie bei ihrer letzten Begegnung, einem seelisch verletzten, gezeichneten, zerbrechlichen Menschen. Als sie dann sprach, war ihre Stimme leise, und sie blickte auf den Tisch. »Ich weiß es nicht. Bitte, ich möchte im Moment nicht darüber nachdenken.«
Er zögerte, wusste nicht, was er sagen sollte. »Naomi, ich …«
»Hör zu, ich kann jetzt nicht darüber nachdenken.« Schon war sie wieder unnahbar und reserviert. Zugleich wirkte sie verärgert, als hätte er sie zwingen wollen, etwas preiszugeben. »Außerdem geht es im Augenblick nicht darum. Ich will nur eines wissen: Bist du dabei oder nicht? Wenn du keine Lust hast, Saifi zu jagen und die verschwundenen Touristen zu finden, dann sag es einfach. Damit komme ich auch allein klar.«
»Willst du das?«, fragte er mit ruhiger und leiser Stimme, ihre Forschheit ignorierend. »Willst du, dass ich Harper eine Absage erteile? Würde es das für dich leichter machen?«
Für ein paar Augenblicke studierte sie seine Miene eingehend. Offenbar versuchte sie einzuschätzen, wie aufrichtig er war. »Du musst es wissen, Ryan. Ich kann diese Entscheidung nicht für dich treffen. Aber falls du glaubst, dass ich noch nicht so weit bin, können wir nicht zusammenarbeiten. Vielleicht solltest du …« Sie wandte den Blick ab. »Ich weiß es
nicht. Vielleicht solltest du ihm sagen, dass du nichts mit der Geschichte zu tun haben willst. Womöglich wäre das für uns beide am besten.«
Er schüttelte den Kopf und schaute zu Boden. Ihre Worte hatten ihn tiefer getroffen, als ihr wahrscheinlich bewusst war. Als er schließlich den Blick hob, sah sie ihm direkt in die Augen, offenbar auf eine Antwort wartend. Ihre unnachgiebige, unversöhnliche Miene führte eine Entscheidung herbei, und als er sprach, klang seine Stimme so hart und kämpferisch wie ihre.
»Pech gehabt, Naomi. Du kannst mich nicht daran hindern, bei dem Job einzusteigen. Eigentlich will ich nichts damit zu tun haben, aber mir ist schon jetzt klar, dass du mir keine andere Wahl lässt. Da ich dir die Geschichte nicht ausreden kann, hast du jetzt einen Partner. Allerdings solltest du nicht vergessen, dass ich es nur aus einem Grund tue.«
»Tatsächlich?« Sie straffte die Schultern und schaute ihn mit blitzenden Augen an. »Und der wäre?«
Er stand auf und nahm seine Jacke von der Stuhllehne.
»Ich muss aufpassen, dass du dich nicht in Lebensgefahr bringst.« Er drehte sich um und ging in Richtung Tür, doch mit jedem Schritt machte es ihn trauriger, wie dieses Gespräch gelaufen war. Ihm war nicht klar, was sie so verändert hatte, aber er wusste, dass er keine Ruhe geben würde, bis er es herausgefunden hatte. Bis dahin konnte er nur aufpassen, dass sie sich nicht in Gefahr brachte. Leichter gesagt als getan, sagte eine leise Stimme in seinem Inneren, doch er ignorierte sie. Er wusste, was ihn erwartete, und er würde alles tun, damit ihr nichts passierte. Und ihm war egal, wie sie darüber dachte.
5
Islamabad
Während seiner gut zweiundzwanzig Jahre beim Bureau of Diplomatic Security war Special Agent Mike Petrina mit einem breiten Spektrum von Aufgaben betraut worden. Er hatte als Kurier für wichtige Dokumente fungiert, sich mit Passbetrug beschäftigt und in dreiundvierzig Ländern auf sechs Kontinenten hohe amerikanische Politiker beschützt. Im Laufe der Zeit war er Zeuge wahrhaft historischer Augenblicke gewesen, hatte aber auch einige dieser seltenen, beunruhigenden Momente miterlebt, in denen Amerikanern eine unverhohlen feindselige Stimmung entgegenschlug. Einen Suburban durch eine Menge aufgebrachter Demonstranten zu manövrieren konnte gefährlich genug sein, doch so etwas war Routine, und er hatte sehr viel Schlimmeres ertragen müssen. Im Herbst 2000 hatte er nur ein paar Schritte neben Madeleine Albright gestanden, als diese zum ersten Mal den Fuß auf nordkoreanischen Boden setzte. Er erinnerte sich genau an das seltsame Gefühl, das er empfunden hatte, als die erste Außenministerin der Vereinigten Staaten Kim Jong Il die Hand schüttelte, an das gekünstelte Lächeln des kommunistischen Staatschefs und an die eisigen Blicke der Spalier stehenden Soldaten. Die aktuelle Lage war weniger unangenehm, aber die Stimmung in dem Raum
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