Der Agent - The Invisible
näherte sich mit gezückter Waffe und zielte.
Kealey wandte sich wieder dem ersten Polizisten zu, der stöhnend sein Knie umklammerte. Seine Dienstwaffe lag ein paar Schritte weiter weg im Dreck. Kealey hob sie auf und steckte sie in die tiefe rechte Tasche seines Flanellhemds. Dann nahm er den Schutzhelm ab, warf ihn weg und drehte sich zu Pétain um, die bereits die Waffe des anderen Polizisten an sich genommen hatte. Sie richtete noch immer die FN Forty-Nine auf den gestürzten Polizisten, der die Hände hob. Als er genauer hinsah, erkannte Kealey, dass seine Kugel den Mann rechts in den Unterleib getroffen hatte. Wenn sich bald jemand um die Wunde kümmerte, war sie nicht lebensbedrohlich.
»Los, wir müssen abhauen«, sagte er. Pétain nickte, aber er sah es nicht. Seine Aufmerksamkeit galt dem westlichen Tor, durch das sie, Naomis Ratschlag folgend, verschwinden sollten. Sofort sah er, dass es nicht funktionieren würde. Ein Pulk von Bauarbeitern stand im Weg, und sie hatten gebannt verfolgt, was gerade vor dem Wohncontainer geschehen war. Einige schienen etwas unternehmen zu wollen, aber keiner wagte es, sich in Bewegung zu setzen. Kein Zweifel, sie hatten gesehen, wie er auf den Polizisten schoss, und offenbar hatte keiner von ihnen Lust, dessen Schicksal zu teilen.
Er drehte sich um und rannte über das holprige Gelände auf das Tor am östlichen Ende der Baustelle zu. Über die Schulter rief er Pétain zu, sie solle ihm folgen, aber sie war bereits dicht hinter ihm.
»Was soll das, Kealey?«, rief sie atemlos. »Das ist das falsche …«
»Sie haben die Bauarbeiter gesehen. Das ist der einzige Ausweg.«
»Die Polizisten …«
»Ich weiß, aber uns bleibt keine Wahl. Los, weiter! «
19
Madrid
Als Kharmai wieder zu sich kam, hörte sie Schreie. Alles war pechschwarz, doch die Schreie gellten unglaublich scharf und deutlich in ihren Ohren, fast so, als kämen sie aus den Mündern Hunderter von Menschen direkt neben ihr. Sie wollte in einer abwehrenden Geste die Hände heben, aber ihre Arme schienen ihr nicht zu gehorchen.
Eine Stimme stach aus dem Durcheinander hervor, doch sie konnte sie nicht zuordnen. Verzweifelt sehnte sie sich danach, etwas Vertrautes zu hören oder zu sehen, aber alles um sie herum war verschwommen.
Verschwommen … Das war ein Ausgangspunkt. Sie hatte die Augen geöffnet, und allmählich nahmen die Dinge Kontur an. Sie lag auf dem Rücken. Über ihr bewegten sich Schatten, aus denen allmählich Silhouetten wurden, die sich vor dem Licht der Nachmittagssonne abzeichneten, und schließlich erkannte sie Menschen. Dutzende rennender, schreiender, aufgeregter Menschen.
Auf ihrem Arm fühlte sie eine Hand, dann zwei Hände, warme Menschenhaut auf ihrer eigenen, schließlich zwei Finger an ihrem Hals. Jemand tastet nach dem Puls, dachte sie. Die Laute formten sich zu Wörtern, jemand fragte, ob alles in Ordnung sei. Dann fühlte sie die Hände unter den Achseln, und sie wurde in eine Sitzposition gehievt. Sie wollte protestieren, brachte aber kein verständliches Wort heraus. Der Mann
hinter ihr war bestimmt kein Notarzt, denn dann hätte er sie überhaupt nicht bewegt.
»Ganz ruhig, bewahren Sie die Ruhe.« Der Mann musste Amerikaner sein, seine Aussprache hörte sich an, als käme er aus Brooklyn. »Das kommt alles wieder in Ordnung.«
»Was ist passiert?«
»Sie sprechen Englisch.« Die Stimme klang erleichtert. Ein Tourist, dachte sie. »Es hat eine Explosion gegeben, vielleicht eine Bombe. Sie haben das Bewusstsein verloren, aber es wird Ihnen bald wieder gut gehen. Bleiben Sie einfach so sitzen, wir warten auf den Krankenwagen. Bewegen Sie sich nicht, okay?«
Sie nickte matt. Was ist passiert? Hatte sie ihn das wirklich gefragt? Und warum? Sie erinnerte sich, dass sie abgedrückt hatte, doch danach tat sich ein schwarzes Loch auf. Trotz ihrer Verwirrung war ihr klar, dass sie viel zu nah an dem Toyota gewesen war, als sie auf die Tanks gefeuert hatte. Und jetzt sah sie überrascht, dass sie, vom Eingang der Gasse aus gesehen, mindestens drei Meter durch die Luft geschleudert worden war. Es war ihr von Anfang an bewusst gewesen, der Abstand zwischen dem Lieferwagen und der Straße war nicht groß genug. Hätte sie nicht hinter dem Müllcontainer Schutz gesucht, wäre sie womöglich auf der Stelle ums Leben gekommen. Trotzdem, sie hatte getan, was sie tun konnte. Fragte sich nur, ob ihr Ablenkungsmanöver funktioniert hatte.
Ihre Gedanken wanderten zu Ryan. Um sich
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