Der Agent - The Invisible
herum hörte sie die Stimmen von Polizisten - sie schloss es aus dem gebieterischen Klang und der Lautstärke -, und aus der Ferne ertönte die Sirene eines weiteren Streifenwagens. Zu dumm, dass sie keine Ahnung hatte, wie lange sie b ewusstlos gewesen war. Bestimmt waren schnell weitere Polizisten vor Ort, zusammen mit Notärzten,
aber wie schnell? Das war die Frage. Eigentlich konnte sie nicht länger als ein oder zwei Minuten bewusstlos gewesen sein, und das hieß: Wenn Ryan und Pétain schnell reagiert hatten, mussten sie die Baustelle bereits verlassen haben.
Der amerikanische Tourist kümmerte sich um die nächste am Boden liegende Person. Sie stand mühsam auf und blickte an sich herab. Ihre Glieder gehorchten ihr, alles schien in Ordnung zu sein. Trotzdem durfte sie sich nicht zu früh freuen. Manchmal machten sich ernsthafte Verletzungen erst bemerkbar, wenn der Schock abgeflaut war, und sie versuchte immer noch mühsam, sich zu orientieren. Sie tat ein paar unsichere Schritte und sah mehrere Menschen auf dem Pflaster liegen. Die meisten bewegten sich, andere lagen völlig reglos da. Einige bluteten stark.
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie für all das verantwortlich war. Entsetzen und Schuldgefühle übermannten sie, und ihre Brust war wie zugeschnürt, doch sie verdrängte beides mit aller Macht. Es brachte nichts, sich jetzt davon beherrschen zu lassen. Ihre Benommenheit ließ nach, als sie unsicher in Richtung Norden ging, vorsichtig den Verletzten ausweichend, denen sie nicht ins Gesicht zu blicken wagte. Sie wollte nichts sehen, sich keine Rechenschaft ablegen über das, was sie getan hatte. Zumindest so lange nicht, bis sie in der Lage war, alles zu verarbeiten. In der Nähe der Kreuzung standen drei Streifenwagen, kaum zehn Meter entfernt von dem Maschendrahtzaun am östlichen Rand der Baustelle. Sie blickte nach links und sah, wie sich das Tor öffnete und zwei Personen das Gelände verließen. Trotz der dicken Flanellhemden erkannte sie die beiden sofort - Ryan Kealey und Marissa Pétain. Sie bogen nach links ab und gingen an dem ersten Streifenwagen vorbei, der keine fünf Meter entfernt war.
Warum hatten sie so lange gebraucht? Und das falsche Tor genommen? Zorn stieg in ihr auf, als sie den beiden nachblickte. Das alles war verwirrend, eigentlich hätten sie direkt nach der Explosion reagieren müssen. Als die beiden die Streifenwagen passiert hatten, gingen sie schnell auf die Kreuzung zu. Kharmai atmete erleichtert auf. Sie würden es schaffen.
Auch sie ging weiter und versuchte, sich zu entspannen. Sie musste den beiden nur in einem gewissen Abstand folgen, und nach ein paar Häuserblocks würde sie Ryan rufen und sich mit ihm auf einen Ort einigen, wo sie sich zu einer bestimmten Zeit treffen konnten. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie die 45er nicht mehr bei sich hatte. Die Glock steckte im Hosenbund ihrer Jeans, aber die andere Waffe war verschwunden. Nach kurzem Zögern begriff sie, dass es nicht zu ändern war. Schließlich konnte sie schlecht zurückgehen und danach suchen, und sie wusste, dass die spanische Polizei ihre Fingerabdrücke nicht hatte. Am besten war es, einfach weiterzugehen, doch als sie den Schritt beschleunigte, hörte sie jemanden aufgeregt rufen. Nein, nicht einen, sondern mehrere Menschen durcheinander. Nicht hinter, sondern vor ihr, in der Nähe der geparkten Streifenwagen.
Sie drehte den Kopf nach links und sah sofort den Pulk von Bauarbeitern. Einige von ihnen buhlten um die Aufmerksamkeit des einzigen Polizisten, der bei den Fahrzeugen geblieben war. Er war ein schmächtiger Mann Anfang zwanzig und wirkte unglaublich jung und verunsichert. Aber es gab keinen Zweifel, er hörte sich genau an, was die Arbeiter zu sagen hatten. Einige ihrer Kollegen zeigten aufgeregt auf Ryan und Pétain. Einen Sekundenbruchteil später drehte sich der Polizist um und schaute ihnen nach, mit einer Hand nach der Dienstwaffe greifend.
Kharmai rannte los. Sie wollte die beiden warnen, war aber zu weit weg. Sie würden sie nicht hören. Und selbst wenn, sie hätten nicht genug Zeit, um rechtzeitig zu reagieren. Es kam ihr so vor, als würde sie sich in Zeitlupe bewegen, und es gelang ihr nicht, sich von dem seltsamen Gefühl zu befreien. Ihre Hand hob das verschwitzte T-Shirt hoch und ertastete den Griff der Glock …
Sie riss die Pistole aus dem Hosenbund und bremste ab, ihre Absätze knirschten auf dem Asphalt. Die Druckwelle der Explosion hatte die Fenster der Wohnungen
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