Der Agent - The Invisible
im ersten Stock zerspringen lassen, überall auf der Straße lagen Scherben. Sie hob die Waffe, zielte aber nicht. Der Polizist hielt seine Pistole ebenfalls schussbereit in der Hand und rief Kealey und Pétain etwas nach. Die beiden hatten sich umgedreht, und selbst aus dieser Entfernung erkannte sie Ryans völlig perplexen Gesichtsausdruck. Seine Hand hing unschlüssig an der Seite herab. Diese Unsicherheit erlebte sie zum ersten Mal, was ihr zu denken gab.
Aber nur für einen Moment. Unmittelbar darauf trafen sich ihre Blicke, und sie wusste genau, was sie zu tun hatte. Sie trat noch ein paar Schritte vor und zielte sorgfältig. Dann hatte sie den Polizisten im Visier, und ihr Finger lag am Abzug …
Kealey hatte die Stimmen gehört und spürte Pétains Hand, die warnend seinen Arm umklammerte. Er musste nicht hinsehen, um zu wissen, was passiert war. Wenn er sich umdrehte, würde er den Verdacht bestätigen, den die Leute in seinem Rücken hegten. Trotzdem blieb ihm keine andere Wahl. Er blieb stehen und blickte über die Schulter. Dabei drehte sich sein Körper mit, die rechte Hand hing lässig an seiner Seite herab. Es war eine verfahrene Situation. Er sah die vorwurfsvollen Gesichter
der Bauarbeiter, die bangen Mienen der umstehenden Passanten und den verängstigten, aber entschlossenen Ausdruck des jungen Polizisten, der die Waffe hob und ihm schreiend etwas befahl. Doch sein Blick galt einzig und allein Naomi. Sie stand etwa fünfzehn Meter hinter dem Polizisten und hatte die Glock schussbereit in der Hand. Passanten warfen sich zu Boden, und ihre Schreie verschmolzen mit dem Geheul der Sirenen und dem lauten Stöhnen der Verletzten.
Er wusste, dass er es nicht schaffen würde, rechtzeitig die Waffe zu ziehen; er hatte zu lange gewartet. Sein Blick traf den Naomis, und er hoffte, dass sie seine Gedanken erriet. Er konnte nicht sicher sein, ob sie verstand oder auch nur ahnte, was er ihr sagen wollte, doch es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie war bereits in Aktion.
Naomi drückte ab, und der Polizist zuckte zusammen, fast so, als hätte ihm jemand überraschend von hinten auf die Schulter geklopft. Er ging zu Boden, und seine Miene spiegelte im Moment des Todes völlige Verwirrung. Aus seiner Dienstwaffe löste sich ein Schuss, er hatte in einer unbewussten Reflexreaktion abgedrückt. Kealey hörte die Kugel anderthalb Meter über seinem Kopf durch die Luft pfeifen. Naomi kam über den mit Scherben und Trümmern übersäten Asphalt auf ihn zugerannt, und ihr Gesicht spiegelte zugleich nacktes Entsetzen und Entschlossenheit.
Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden und fragte sich, was ihr durch den Kopf ging, doch Pétain riss ihn aus seinen Gedanken. »Wir müssen verschwinden«, sagte sie, energisch an seinem Arm zerrend. Er trat vom Bürgersteig auf die Straße. Die nach Süden fahrenden Autos stauten sich, doch in der entgegengesetzten Richtung war die Fahrbahn ziemlich frei. Ein Autofahrer war ausgestiegen, um besser sehen zu können, was
los war. Er stand reglos da, geschockt auf den toten Polizisten starrend, offenbar unbesorgt um seine eigene Sicherheit. Ein paar Schritte weiter rechts lief ein Ford Escort im Leerlauf, aus dem Auspuff stieg träger Rauch auf. Die Tür auf der Fahrerseite stand offen.
Kealey dachte daran, den Mann mit der Waffe zu bedrohen und mit Worten einzuschüchtern, doch es war überflüssig. Er stieß ihn einfach zur Seite und setzte sich hinter das Steuer. Der Besitzer des Autos protestierte nicht einmal. Er stürzte zu Boden, mit einem verdutzten, ungläubigen Gesicht. Unterdessen war Pétain auf den Beifahrersitz gesprungen, und ein paar Augenblicke später war auch Naomi da. Hinter sich hörten sie Schüsse, Kugeln schlugen in den Kofferraum des Autos. Eine zerstörte die Heckscheibe und verfehlte nur knapp Naomis Kopf, als sie sich auf die Rückbank warf. Sie zog die Tür zu und schrie Kealey an, er solle endlich losfahren, doch der hatte den Gang schon eingelegt. Der Escort schoss nach vorn und beschleunigte, als sein linker Fuß auf die Kupplung trat und er in den zweiten Gang schaltete. Der Wagen schrammte an einem anderen Auto vorbei, und der Seitenspiegel auf der Fahrerseite brach mit einem lauten Knall ab und zersplitterte fünf Meter hinter ihnen auf dem Asphalt.
Sie näherten sich der Kreuzung. Die Ampel war rot, und mehrere Autofahrer warteten darauf, dass sie auf Grün umsprang. Auf der Calle de San Bernardino bewegte sich eine nicht
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