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Der Algebraist

Der Algebraist

Titel: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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angekettet? Sie waren an den Stuhl gefesselt, auf dem er saß.
Was ›zum Teufel‹ hatte das zu bedeuten? Er fing an zu
lachen.
    Ein Schlag, der durch Mark und Bein ging. Sein ganzes Skelett
erbebte wie ein Glockenspiel, sein Fleisch, seine Muskeln und seine
Organe hatten sich gelöst, waren noch in der Nähe, noch mit
ihm verbunden, und ein Dreckskerl – oder gar ein ganzer Haufen
von Dreckskerlen – hatte mit vielen Hämmern gleichzeitig
und mit voller Wucht auf jeden Einzelnen seiner Knochen
eingeschlagen. Der Schmerz verschwand fast so schnell, wie er
gekommen war, und ließ nur ein unheimliches Echo in seinen
Nerven zurück.
    »Wasch zum Teufel war dasch?«, fragte er das
Männchen. Es klang komisch, weil ihm einige Zähne fehlten.
Seine Zunge betastete die Lücken. Zwei waren offenbar ganz weg,
einer war locker. Er suchte sich zu erinnern, wie lange es dauerte,
bis einem Erwachsenen die Zähne nachwuchsen. Der Mann sah mit
seinem dicken, freundlichen Gesicht und den rosigen Pausbäckchen
recht gutmütig aus. Sein schwarzes Haar war kurz geschnitten. Er
trug eine Uniform, die Fassin unbekannt war. »Verdammt, wollen
Schie mich foltern?«, fragte Fassin.
    »Nein«, sagte das Männchen sehr sachlich. »Ich
will nur, dass Sie mir genau zuhören.« Er bewegte eine Hand
über die Schreibtischplatte.
    Fassins Knochen klapperten schon wieder, als hätte jemand
darauf gespielt. Beim zweiten Mal fanden seine Nerven das Ganze nun
wirklich nicht mehr lustig und protestierten mit heftigen
Schmerzen.
    »Schön! Schön!«, hörte er sich sagen.
»Verdammt, ich habe verschanden. Verstanden«, wiederholte
er. Er musste lernen, sich beim Sprechen auf seinen neuen Zahnstatus
einzustellen.
    »Sie sollten nicht fluchen«, sagte das Männchen und
tat ihm wieder weh.
    »Okay!«, schrie er. Sein Kopf hing nach unten. Der Rotz
lief ihm aus der Nase, und Speichel und Blut tropften ihm aus dem
Mund.
    »Bitte fluchen Sie nicht«, sagte das Männchen.
»Fluchen ist das Zeichen eines undisziplinierten
Verstandes.«
    »V…, sagen Sie mir einfach, was Sie von mir
wollen«, bat Fassin. War das Wirklichkeit? Oder war er in einem
unheimlichen VR-Traum gefangen, seit er K geholfen hatte, aus den
Untiefen ihres T-Traums herauszukommen. War das die Strafe, wenn man
sich billige Vorlagen oder illegale Kopien für seine
T-Träume beschaffte? War das alles wirklich? Schmerzhaft genug
wäre es gewesen. Er schaute auf seine Beine hinab, der Saum
seiner Shorts triefte von Blut und Schleim und Rotz. Er konnte die
einzelnen Haare unterscheiden, einige waren aufgerichtet, andere
klebten auf der Haut. Er sah auch die Poren. War das kein Beweis,
dass alles wirklich war? Nein, natürlich nicht. T-Träume,
Simspiele, VR, sie alle beruhten auf der Erkenntnis, dass sich der
Verstand nur auf eine Sache auf einmal konzentrieren konnte. Der Rest
war Illusion. Das menschliche Sehvermögen, der komplexeste Sinn,
den die Gattung besaß, arbeitete seit Jahrmillionen nach diesem
Prinzip, um das Bewusstsein hinter den Augen zu täuschen. Man
glaubte nur, Farben und verschiedene Einzelheiten im Weitwinkelformat
(über die ganze Breite) zu sehen, aber das stimmte nicht;
scharfes, farbiges Sehen war auf einen ganz kleinen Bereich des
Sichtfeldes beschränkt, der Rest war verschwommen,
schwarzweiß und registrierte nur Bewegungen.
    Das Gehirn arbeitete mit verschiedenen Tricks, um sich
vorzugaukeln, es sähe die Randbereiche seines Zielobjekts
genauso scharf wie das Zentrum. Intelligente VR verwendete die
gleichen Verfahren; sie fuhr an ein Detail heran und gestaltete es
messerscharf mit aller Präzision aus, alles, was im Moment nicht
Gegenstand des Interesses war, konnte gefahrlos ignoriert werden, bis
der Betrachter seine Aufmerksamkeit darauf richtete. So wurde der
Verarbeitungsaufwand in vernünftigen Grenzen gehalten.
    Fassin riss sich von seinem blutbespritzten Bein los. »Ist
das Wirklichkeit?«, fragte er.
    Das Männchen seufzte. »Mr. Taak«, sagte es und
blickte auf einen Schirm, »Laut Ihrem Profil kommen Sie aus
einer angesehen Familie und könnten eines Tages sogar zu einem
nützlichen Mitglied der Gesellschaft werden. Sie hätten
sich von den Leuten, mit denen Sie seit einiger Zeit zusammenhausen,
besser fern gehalten. Sie alle haben sich sehr töricht benommen,
und nun müssen andere unter Ihrer Torheit leiden. Sie haben
lange Zeit in einem Traum gelebt, doch dieser Traum ist nun zu Ende.
Das ist amtlich. Ich finde, Sie sollten nach Hause gehen. Meinen

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