Der Algebraist
Triebwerksblock am Heck, dessen
Turbinenschaufeln momentan noch eingeklappt waren. Fassin fuhr mit
der Hand über die Backbordschwanzflosse. »Alles startklar,
Herv?«
»Ganz und gar«, antwortete Apsile. Er war schwarz wie
ein Nubier, schlank, aber muskulös, und hatte einen
glänzend kahlen Schädel. Nur ein paar Fältchen um die
Augen ließen ungefähr erkennen, wie alt er war, und er war
sehr alt. Etwa einmal im Jahr, vor der jährlichen
Ganzkörperdepilation – eine Genbehandlung war ihm ein zu
schwerer Eingriff – erschien ein weißer Stoppelpelz auf
seiner Kopfhaut, und der sah aus wie ein Himmelsabschnitt voller
Sterne. »Und was ist mit Ihnen?«, fragte er.
»Ach, ich bin ebenfalls startklar«, erklärte
Fassin. Er war soeben von der letzten Tagesbesprechung mit den Leuten
von der Aktuellen Dweller-Lage zurückgekommen. Ihr
anspruchsvoller Auftrag lautete, er solle versuchen, auf dem
Laufenden zu bleiben, was das Geschehen in der vollkommen chaotischen
Dweller-Gesellschaft anging, und nebenbei den Standort der
großen Dweller-Gebäude und -Einrichtungen und -ganz
besonders – den Aufenthaltsort Interessanter Individuen zu
verfolgen.
Es gab schlechte Nachrichten: zwischen Zone Zwei und Gürtel C
braute sich ein Formalkrieg zusammen, zumindest löste sich eine
langlebige Sturmformation zwischen Zone Eins und Gürtel D gerade
auf, während sich anderswo zwei neue Formationen aufbauten, und
die Interessanten Individuen hatten in letzter Zeit eine
ausgeprägte Wanderlust an den Tag gelegt. Man könnte es
auch Sprunghaftigkeit nennen. Was den Aufenthaltsort von Choal
Valseir anging, nun ja. Der Bursche war seit Jahrhunderten nicht mehr
gesehen worden.
Dweller waren von jeher schwer zu verfolgen gewesen. Früher
hatte man versucht, ferngesteuerte Drohnen auf einzelne Individuen
anzusetzen. Aber das betrachteten die Dweller als groben Eingriff in
ihre Privatsphäre, und sie hatten ein unheimliches Geschick
darin, alle noch so kleinen und intelligenten Plattformen,
Mikro-Gasschiffe oder Wanzen aufzuspüren und zu zerstören.
Dweller konnten auch schmollen. Wenn jemand verblendet genug war,
etwas so Hinterhältiges zu versuchen, wurde jede Kooperation
eingestellt. Manchmal für die ganze Population. Und manchmal
über Jahre.
Die ›Langsamen‹-Seher von Nasqueron hatten eine recht
gute Beziehung zu ihren Dwellern. Für die Begriffe der
Dweller-Forschung konnte man fast von einer engen Beziehung sprechen,
aber nur deshalb, weil sich die Seher bemühten, so wenig wie
möglich in das Leben der Dweller einzugreifen. Im Gegenzug waren
die Dweller vergleichsweise kooperativ und sendeten täglich
einen aktualisierten Bericht über den Standort ihrer wichtigsten
Städte, Gebäude und Einrichtungen. Dieses etwa
achtstündlich eintreffende Bulletin galt in der
Dweller-Forschung als sprichwörtlich – geradezu
legendär – in seiner Vertrauenswürdigkeit, denn es
erreichte gelegentlich Genauigkeitswerte von fast neunzig
Prozent.
»Beim Sept Bantrabal alles in Ordnung?«, fragte
Apsile.
»Bestens. Slovius lässt grüßen.« Fassin
hatte ein paar Stunden zuvor mit seinem Onkel gesprochen und weiter
versucht, ihn zum Verlassen des Herbsthauses zu überreden. Der
Zeitunterschied zwischen Third Fury und ’glantine war gerade so
groß, dass eine mehr oder weniger normale Unterhaltung
möglich war. Auch mit Jaal hatte er gesprochen, sie hielt sich
auf der anderen Seite von ’glantine im Frühlingshaus ihres
Sept auf. Auf ’glantine ging das Leben einigermaßen normal
weiter, der neue Notstand beeinflusste die Menschen dort offenbar
weniger als auf Sepekte.
Apsile zog einen Rollbildschirm aus seinem Ärmel und tippte
auf einige Felder. Dann schaute er nach oben zu dem Absetzschiff, das
über dem kleinen Gasschiff stand und nur darauf wartete, es in
seinen offenen Frachtraum aufzunehmen und in die
Gasriesen-Atmosphäre hinunterzubringen. Fassin folgte dem Blick
des Meistertechnikers. Im Frachtraum hing bereits eine schwarze
Gestalt, sie ragte daraus hervor wie ein dickes Rad. Er runzelte die
Stirn. »Das sieht ganz wie Colonel Hatherence aus«, sagte
er.
»Gibt nicht viele Stellen, wo sie reinpasst«, murmelte
Apsile.
»Wie bitte?«, dröhnte eine Stimme. Dann, etwas
leiser: »Mein Name? Ach so. Ja, ich bin es. Seher Taak. Major
Taak, sollte ich sagen. Hallo. Verzeihung. Bin eingeschlafen. Nun,
manchmal muss das sein. Ich dachte, ich probiere mal aus, ob dieser
Raum hier groß genug ist. Passt sehr gut, muss ich sagen.
Weitere Kostenlose Bücher