Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
Kaffeebecher und vergruben die Zehen im Sand und vermieden es, sich gegenseitig anzusehen. Irgendwann nahm jeder eine Handvoll von Sams großer Liebe, trat ans Wasser, murmelte leise ein paar persönliche Worte – mit salznassen Füßen und tränennassen Wangen – und warf sie ins Meer. Sam hatte keine Ahnung, was die anderen gesagt hatten. Er selbst sagte: »Es tut mir so leid.« Das gab nicht einmal den allerkleinsten Bruchteil seiner Gefühle wider, aber dafür war später noch Zeit. Als sie fertig waren, blieb die andere Hälfte von Meredith in Julias Becher zurück, und sie tranken ihre Kaffees leer und gingen ins Studio, wo Kyle Chili con Carne kochte und Julia allen Babyfotos ihrer Tochter zeigte. Sams Vater versuchte, ihn zu umarmen, und Julia versuchte, ihn zu umarmen, und Dashiell versuchte, ihn zu umarmen, aber Sam stand nur stoisch und unbewegt in einer Ecke, die steifen Arme tief in den Taschen eines Mantels vergraben, den er nicht ausziehen konnte, und wies jede Berührung zurück, denn wenn ihn jetzt jemand berührte, würde er nie, nie, nie wieder aufhören zu heulen. Das ließ sich nur verhindern, indem er sich von den anderen fernhielt und für sich blieb. Später wurde jede Menge Whiskey getrunken, und am nächsten Morgen fuhren sie wieder zur Fähre und nach Hause. Oder an einen Ort, der sich Zuhause nannte, aber nicht mehr viel Ähnlichkei t damit aufwies. Sam verstand plötzlich, warum Pennys Wohnung so verwahrlost ausgesehen hatte. Wen kümmerte verdammt noch mal , wie die Wohnung aussah?
An diesem Abend fand im Salon Styx eine Party statt, wie nur Dash sie schmeißen konnte. Diese Party war nicht nur die Beerdigung, die Meredith nicht gehabt hatte, sondern auch die Hochzeit, Baby-Party und Ruhestandsfeier, die sie nie haben würde. Ihre Freunde aus der Highschool und dem College kamen, ihre ehemaligen Arbeitskollegen aus der Agentur, s ämtlic he Salon-Besucher und selbst Kunden, die RePrise von zu Hause aus nutzten, Meredith jedoch gekannt und geliebt hatten, weil sie ihnen per Telefon oder E-Mail zur Seite gestanden hatte. Es kamen die Leute, bei denen sie Kaffee, Gemüse, Käse oder Wein gekauft hatte, die Hundebesitzer aus dem Park, Jamie und Penny, Sams Vater und Sam und sogar die Hunde. Niemand wusste, wo Dash diese ganzen Leute aufgetrieben hatte. Es wurde geweint und gelacht, und es gab Musik und Fotos und genug Alkohol, um sich darin zu ertränken. Nach einer halben Stunde schlüpfte Sam hinaus und ging nach oben, um mit Meredith zu sprechen. Er hatte kurz überlegt, ob er dazu einen Computer im Salon hochfahren sollte, damit die anderen sie auch begrüßen konnten und damit sie sah, wie viele Menschen sie geliebt hatten, aber wie er ihr damals, vor langer Zeit, erklärt hatte, war das erste Mal etwas ganz Intimes.
Oben in der Wohnung ließ er die Lichter aus. Er hörte, wie die Musik zu ihm heraufdröhnte – Dash hatte auch sämtliche Nachbarn eingeladen, damit sich niemand über den Lärm beschweren konnte –, und sah die beleuchteten Fähren auf dem Wasser. Ansonsten war es dunkel und ruhig und einsam. Merediths Flugzeuge schwankten in der schwachen Brise, die von wer weiß wo hereinwehte, und warfen kaum sichtbare Schatten auf den Boden, weil vom selben geheimnisvollen Ort ein schwaches Licht hereinschien. Das Zimmer war das gleiche wie vor einer Woche, aber es würde nie wieder dasselbe sein. Sam prüfte noch einmal alles, bevor er Merediths Daten in das RePrise-System hochlud. Dann rief er sie an. Die eine Hälfte von ihm dankte dem Himmel für RePrise, weil er sie sonst für immer verloren hätte. Die andere Hälft e von ihm verfluchte RePrise, weil er sie ohne diese verdammte Software gar nicht erst verloren hätte.
Sie nahm ab und strahlte geradezu, ein wunderbarer Anblick. Sie war wieder unversehrt und menschlich und bestand aus Fleisch und Knochen und Licht und Liebe und Wärme. Wenn Sam ganz genau hinsah, und das tat er, konnte er sie sogar atmen sehen. Er konnte einen kaum wahrnehmbaren Puls an ihrem Hals erkennen. Ihr Herz schlug und schlug und schlug.
»Sam!« Sie freute sich sichtlich, ihn zu sehen. »Nie rufst du an!«
»Oh , Merde. Oh, Gott. Meine geliebte Merde.« Nur mit M ühe gelang es ihm, sich nich t über die Tastatur zu erbrechen, sondern auf den Boden. Dann fing er an zu schluchzen und zu schreien und konnte einfach nicht mehr aufhören. Sie war zu Tode erschrocken.
»Sam, du machst mir Angst. Was ist denn los?«
»Oh, mein Schatz, du bist
Weitere Kostenlose Bücher