Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
Besserung. Sie sind zwar trau rig, aber es geht ihnen wieder einigermaßen gut. Dir geht es nicht gut. Du setzt alles daran, dieses Mädchen zugrunde zu richten, und das ist einfach nicht richtig.«
»Sie war froh, dass sie den Ring gefunden hat. Und sie war froh, zu erfah ren, dass er ihr einen Antrag machen wollte.«
»Nur dass er ihr diesen Antrag nie machen wird. Weil er nämlich tot ist. Und statt ihr zu helfen, sich von ihm zu verabschieden, wirfst du sie einfach Monate, vielleicht sogar Jahre in ihrem Heilungsprozess zurück. Jetzt ist sie mit einem Toten verlobt, jetzt hat sie nicht nur ihren Freund, sondern auch noch ihren Verlobten verloren, nicht nur ihre gemeinsamen Zukunftspläne, sondern auch noch ihre Hochzeit. Und daran bist du schuld, Sam.«
»Wir wissen nich t, warum die Leute sich für RePrise anmelden. Manche wollen sich verabschieden, und andere wollen eben etwas anderes. Du klingst schon genau wie Meredith«, sagte Sam.
»Irgendjemand muss es ja tun«, erwiderte Dash.
Am nächsten Vormittag kam Kylie vorbei, um sich zu verabschieden. Sie war der Ansicht, dass sie RePrise nicht mehr brauchte, jetzt, wo sie den Ring hatte. Diese Entscheidung machte Sam den Rest des Tages zu schaffen. Warum wollte sie nicht Tims Gesicht wiedersehen, mit ihm reden, ihm Liebesbriefe schicken und welche von ihm empfangen, vor allem jetzt, wo sie verlobt waren?
»Dash hat recht. Die beiden sind nicht verlobt«, sagte Avery Fitzgerald sanft zu ihm. »Sie mag verlobt sein, er ist es nicht.«
»Sie ist es eigentlich auch nicht«, warf Celia Montrose ein, die im Salon wartete, während ihre Tochter Kelly mit ihrem verstorbenen Vater sprach. »Verlobt zu sein bedeutet doch, dass man vorhat zu heiraten. Man kann aber keinen Toten heiraten.«
»Sie kommt bestimm t zurück«, prophezeite Edith Casperson. »Es kommen doch alle zurück.«
»Wer kommt zurück?«, fragte Sam.
»Verliebte Menschen«, antwortete Edith weise. »Dumme, törichte, verliebte Menschen.« Avery verdrehte die Augen und lächelte Celia vielsagend an. Die drei Frauen bil deten immer mehr eine verschworene Gemeinschaft. Dash wollte schon T-Shirts drucken: Die RePrise-Witwen. Jede spielte ihre eigene Rolle: Avery war die Ehe-Verfechterin, Edith die Ehe-Skeptikerin, und Celia mied das Thema völlig.
»Ich bin nicht gegen die Ehe«, stellte Celia klar. »Ich möchte nur nicht mit meinem verstorbenen Mann reden. Zu Lebzeiten habe ich ihn sehr geliebt, aber jetzt gehe ich ihm aus dem Weg. Wie dem auch sei: Warum kommen Sie nicht mit uns was trinken, Sam? Wir wollen in das Café im Kunstmuseum. Da steht übrigens Ihr Name drauf.«
Das stimmte. Seattle Art Museum. Auf dem ganzen Gebäude stand es in Großbuchstaben: SAM. Sam lächelte, schlug das Angebot jedoch aus.
»Ich verstehe Sie gut«, sagte Avery und drückte ihm den Arm. Er glaubte ihr sogar, dass sie ihn verstand, zumindest ein bisschen. »Aber Sie müssen wirklich mal raus. Sie können nicht Tag und Nacht arbeiten.«
»Warum nicht?«
»Das tut Ihnen nicht gut.«
»Warum nicht?«
Avery sah ihn mit so viel Zärtlichkeit an, dass es ihm wehtat. »Wir sind auch ganz behutsam mit Ihnen, das wissen Sie. Wir reißen keine Witze, bringen Sie nicht zum Lachen, wenn Sie nicht wollen. Wir werden Sie garantiert nicht zwingen, über sie zu reden, ja, wir werden überhaupt nicht zulassen , dass Sie über sie reden. Am besten, wir lassen Sie gar nicht erst zu Wort kommen. Die haben dort gute Pommes frites und starke Drinks und Tomatensuppe mit gegrilltem Käse. Das wird ein ganz ungezwungener Abend. Kommen Sie mit! «
Sams Augen füllten sich mit Tränen, weil sie seiner Mutter so ähnelte. Nicht seiner echten Mutter. Es überstieg Sams Vorstellungskraft, wie sie wohl heute ausgesehen hätte, mit einer Frisur und Klamotten, die nicht rettungslos altmodisch waren, mit Lachfalten und grauen Haaren und einer Lesebrille, die sie an einer Schnur um den Hals trug. Aber Avery sah ihn an, wie bestimmt auch seine Mutter ihn angesehen hätte, wenn sie da gewesen wäre: voller Schmerz über seinen Schmerz, beinahe so traurig wie er über das, was passiert war, voller Liebe und Sorge, verzweifelt bemüht, ihm zu helfen.
Sie ging zu ihm und legte ihm die Hand an die Wange, und Sam fühlte sich wieder wie ein kleiner Junge. »Kommen Sie doch einfach mit.« Und er hätte es fast getan, hätte sie nicht hinzugefügt: »Ein bisschen frische Luft schnappen und mit echten Menschen reden.«
»Sie ist echt«, sagte er
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