Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
austauschen können . »Ich rufe dich später wieder an. Vielleicht noch heute Abend«, sagte Sam. Dann fügte er noch hinzu: »Ich liebe dich, weißt du das?«
»Ja, das weiß ich«, antwortete sie. »Ich liebe dich auch.« Ein Echo. Dann sagte sie: »Sam? Es tut mir so leid, dass du das ganz alleine durchstehen musst.«
»Schon gut«, sagte er.
»Wirklich?«, fragte sie.
»Nein«, gab er zu. »Es ist überhaupt nicht gut.«
N ichts ist gut
Als er am nächsten Tag hinunterging, um sich bei Penny zu entschuldigen, war sie verschwunden. An ihre Stelle war jene Penny getreten, deren Wohnung er beim ersten Mal betreten hatte, nachdem Meredith ihn zu Hilfe gerufen hatte. Die gute Nachricht bestand darin, dass sie nicht mehr wusste, was er am Vortag Schreckliches zu ihr gesagt hatte. Die schlechte Nachricht bestand darin, dass sie ihn nicht erkannte. Allerdings schien sie zu wissen, dass er in Livvies Wohnung wohnte, denn sie fragte ihn immer wieder, wann sie aus Florida zurückkommen würde. »Sie ist tot«, antwortete Sam ein ums andere Mal, so freundlich, wie es einem Menschen in seiner Lage eben möglich war. Später grub ihr Gehirn Merediths Namen wieder aus, und ihre Miene heiterte sich merklich auf, so erleichtert war sie, dass sie sich wieder einigermaßen in Raum und Zeit verorten konnte. Sam brachte es nicht übers Herz, erneut dieselbe traurige Nachricht zu überbringen, also ging er in die Küche und fing an, die Suppe seines Vaters aufzutauen. Sie aßen gemeinsam im Dunkeln. Er entschuldigte sich bei ihr, was sie nicht verstand, und brachte sie dann ins Bett.
Was konnte er sonst noch tun? Arbeiten, nichts als arbeiten. Das war sein Plan für den Rest aller Zeiten. Erstens lenkte es ihn ab, und zweitens verging die Zeit so schneller. Aber vor allem war Sam hoch motiviert. Jetzt, wo RePrise sein Leben bereits zerstört hatte, konnte er es genauso gut bis ins Letzte perfektionieren, sämtliche M ängel ausbügeln und das Prädikat »absolut unglaublich« in das Gütesiegel »von der Realität nicht zu unterscheiden« umwandeln . Außerdem saß er wie jeder Trauernde auf der Strafbank, auf der er auch sein restliches Leben lang bleiben wollte, und diese Strafbank befand sich ein Stockwerk unter ihm im Salon. Seine Kunden verstanden, was sonst niemand verstand, nämlich dass er gar nicht den Wunsch verspürte, über Merediths Tod hinwegzukommen, dass er gar nicht nach vorn blicken und sich mit seinem Schicksal aussöhnen wollte oder einen Zustand von innerem Frieden, von Vergebung und Hoffnung anstrebte. Das Einzige, was ihm noch erstrebenswert erschien, war das ewige, vollkommene Elend. Und davon war er nicht mehr so weit entfernt.
Außerdem war seine Arbeit äußerst schmerzvoll, und das war ihm gerade recht. Als Kylie das nächste Mal mit ihrem frisch gelöschten und neu erstellten Freund sprach, machte dieser ihr einen Heiratsantrag. Na ja, nicht ganz – da er zu Lebzeiten nicht mehr dazu gekommen war, konnte auch seine Projektion es nicht tun, aber Kylie löste offenbar etwas in ihm aus, was einen ganzen Redeschwall über Diamanten und Ringgrößen und Schliff und Reinheit freisetzte, darüber, wo und wie er sie fragen sollte, wie sie hinterher feiern würden und wann sie am besten heirateten. Sie verstand überh aupt nichts mehr. Sam ging noch einmal die eingelesenen Daten durch, mithilfe derer das Programm die Projektion erstellt hatte, und stellte fest, dass Tim bereits auf der Suche nach Verlobungsringen gewesen war. Zwei seiner Schwestern hatten ihm dabei geholfen. Er war in Juwelierläden gegangen und hatte ihnen Fotos von den Ringen geschickt, die ihm am besten gefielen, damit sie ihre Meinung dazu abgeben konnten. Außerdem hatte er seinen Bruder gefragt, ob er ihm seine Hütte in Lake Chelan für den Antrag zur Verfügung stellte. Dorthin hatte er Kylie nach dem Open-Air-Konzert, auf dem ihn der Blitz getroffen hatte, entführen wollen. In seiner letzten E-Mail an seine Mutter schrieb er: »Heute ist der große Tag!«
Dash war inzwischen aus L. A. zurück und riet Sam, es Kylie nicht zu sagen. Offenbar hatten ja auch Tims Verwandte und Freunde beschlossen, sie nicht damit zu quälen. Sie kannten Kylie, und sie hatten Tim gekannt, ganz im Gegensatz zu Dash und Sam. Besser, sie verließen sich auf das Urteilsvermögen der Familie. Aber für Sam gab es nur noch niederschmetternde Offenheit und schonungslosen Schmerz. Je mehr, desto besser, fand er. Wenn eins davon automatisch zum anderen
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