Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
wahr?«
»Du könntest auch bei Penny übernachten. Ihre Kinder kommen erst morgen früh.«
»Sam, ich muss Meredith sehen, und zwar sofort. Und danach gehe ich wieder nach Hause. Ich brauche weder ein Abendessen noch eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich brauche meine Tochter.« Sie hatte das Tränenmedaillon an ihrem Hals so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden.
»Wo ist Kyle?«, fragte Sam noch einmal vorsichtig und ohne sie anzusehen.
»Ich bin allein hier«, wiederholte Julia.
»Wieso ?«
»Er wollte nic ht mit. Warum spielt das so eine große Rolle?«
Für Sam spielte es eigentlich überhaupt keine Rolle. Selbst wenn Julia jeden, den sie kannte, als Unterstützung mitgebracht hätte, hätte er sie nicht mit Meredith sprechen lassen. Aber Julia und Kyle gingen sonst nirgendwo getrennt hin. Er hegte den heimlichen Verdacht, dass die beiden die Auseinandersetzung, die Julia gerade mit ihm anzettelte, bereits hinter sich hatten.
»Er war also dagegen, dass du fährst?«
»Das war er in der Tat. Diese Meinung steht ihm zu. Aber ich verrate dir je tzt was«, flüsterte sie garstig. »Ich bin erwachsen, und es interessiert mich nicht die Bohne, ob er damit einverstanden ist oder nicht. Und jetzt wirf endlich dieses Ding an, Sam, und lass mich mit meiner Tochter sprechen.«
»Nein«, sagte Sam.
Sie gab ein unmenschliches Heulen von sich, nicht wie ein Wolf, eher wie K önig Lear, nachdem er vom Tode Cordelias erfährt. Inmitten ihrer Winterkleidung, die sie achtlos auf den Boden geworfen hatte, stand sie im Salon und heulte, während draußen der Schnee fiel und der weiche Schein der Weihnachtsbaumbeleuchtung ihr Gesicht erhellte und sich im Medaillon um ihren Hals spiegelte, in dem sie ihre Tochter bei sich trug.
Sam hielt sich wie ein kleines Kind die Ohren zu und wartete, bis sie fertig war. Dann wiederholte er sein Nein.
Sie packte seine Oberarme mit beiden Händen und redete wütend und mit zusammengebissenen Zähnen auf ihn ein. »Wie kannst ausgerechnet dumir diesen Wunsch verweigern? Du redest doch auch mit ihr! Das weiß ich. Diese gottlose Technik hat mein Kind getötet. Diese gottlose Technik hat Meredith auf dem Gewissen, und mich auch. Hättet ihr meine Mutter doch nur gehen lassen. Hättet ih r sie doch nur in Ruhe gelassen. Hättest du es doch nur dabei belassen. Hättest du es doch nur für dich behalten. Wärst du meiner Tochter doch nie begegnet. Wärst du doch nie hierhergezogen. Wärst du doch nie geboren worden. Schon eins davon hätte mir gereicht. Aber es sollte nicht sei n. Jetzt bleibt uns nur noch dieses Ding. Sonst nichts. Und deshalb wirst du es mich jetzt benutzen lassen, und zwar sofort! Das bist du mir schuldig! «
»Nein«, sagte Sam.
» Du bist doch derjenige, der RePrise für ein solches Wunder hält. Du bist derjenige, der glaubt, damit könnte man Menschen helfen. Dieses Teufelszeug hat dich reich gemacht. Ich zahle dir, was du willst. Betrachte mich einfach als normale Kundin. Ich unterschreibe gerne die Einverständniserklärung. Ich tue alles, was die anderen auch tun. Ich muss sie sehen, Sam. Ich muss mit ihr sprechen, bitte! «
»Nein« , sagte Sam leise. »Tut mir leid, aber es geht nicht. Ich verstehe dich. Ich verstehe dich sehr gut. Aber das ist nichts für dich.«
»Warum nicht?«
»Behalte sie so in Erinnerung, wie sie war.«
»Ich dachte, genau das ist Sinn und Zweck von RePrise?«
»Behalte sie in deinem Kopf. In deinem Herzen. Halte dich an deine Erinnerungen.«
»Das reicht nicht.«
»Ich weiß.«
»Bei Weitem nicht.«
»Ich weiß.«
» Du redest doch auch mit ihr.«
»Stimmt.« In diesem Punkt musste Sam ihr recht geben. Er musste ihr eigentlich in allem recht geben. »Aber bei mir ist es etwas anderes.«
»Warum?« Julia war immer noch wütend, schien aber nun ihre Taktik geändert zu haben und zu versuchen, ihn in eine Logikfalle tappen zu lassen.
»Weil ich durchschaue, was RePri se ist, und du nicht.«
»Dann zeig es mir.«
»Wenn ich mit ihr rede, kann sie noch so echt und lebendig aussehen, ich vergesse nie, dass sie …«
»Glaubst du, ich ? Glaubst du, ich könnte jemals wieder vergessen, dass sie tot ist? Jede Minute, Sam. Jede verdammte Minute denke ich an nichts anderes.«
»Das meinte ich nicht. Als du Livvie damals auf dem Bildschirm gesehen hast, hast du mich angefleht, den Computer auszuschalten. Du hast uns angefleht, dafür zu sorgen, dass es aufhört.«
»Das war etwas ganz anderes.«
»Nein, war es
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