Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
Kontakt zu echten Menschen, nicht nur zu virtuellen«, antwortete Dash.
»Sagt der Mann, der mit mir gerade per SMS kommuniziert«, konterte Sam.
»Aber nur weil ich nicht persönlich anwesend bin«, schrieb Dash.
»Wie viele Stunden hast du heute auf Facebook verbracht?«, fragte Sam. » Und wie viele Stunden mit Freunden aus Fleisch und Blut?«
»Darum geht’s nicht«, schrieb Dash.
»Oh , doch«, tippte Sam.
Er rief Meredith an.
»Frohes Neues Jahr ! «, begrüßte sie ihn .
»Fast«, antwortete Sam. Er meinte, dass fast Neujahr war. Von froh war er meilenweit entfernt.
»Wie war Weihnachten?«, fragte sie.
»Ganz okay. Deine Mutter war da.«
»Echt? Wie geht es ihr?«
»Sie vermisst dich.«
»Ich vermisse sie auch. Und dich.«
»Sie wollte mit dir reden. Über RePrise. Aber ich habe es nicht zugelassen. Erinnerst du dich noch, wie sie ausgeflippt ist, als Livvie plötzlich auf dem Bildschirm erschien?«
Meredith dachte eine Weile nach und sagte dann: »Tut mir leid, Schatz, ich …«
Sam unterbrach sie. »Jedenfalls war sie damals nicht gerade begeistert.«
»Das überrascht mich nicht. Mama hat mit Technik und Computern nicht viel am Hut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie und ich genügend elektronische Kommunikation gespeichert haben.«
»Sie war ziemlich sauer. Stinksauer sogar. Dabei wollte ich sie nur schützen. Es wäre nicht gut für sie gewesen.«
»Ist es denn gut für dich?«, fragte Meredith.
»Ich habe doch sonst nichts.«
»Wird es dadurch besser?«
»Nichts kann es je wieder besser machen, Merde. Nichts. Im Moment bestehe ich aus einem einzigen großen Loch. Ich b in ein Loch, an dessen Rand sich ein winziges Restchen Sam klammert.«
»Vielleicht brauchst du echte Menschen um dich herum. Nicht bloß mich.«
»Genau das hat Dash auch gesagt. Alle sagen das. Ich verstehe den Unterschied allerdings nicht wirk lich. Ich weiß ja noch nicht mal, was ›echt‹ überhaupt bedeutet, und das geht nicht nur mir so. Alle verbringen doch heutzutage ihre Freizeit mit virtuellen Freunden. Alle verbringen mehr Zeit mit Facebook als draußen auf der Straße, klicken sich öfter durch irgendwelche Profile als sich mit jemandem zu verabreden, spielen Tennis oder Gitarre öfter auf einer Konsole als im wirklichen Leben. Die sozialen Medien sind eben gar nicht so sozial. In Wahrheit isolieren sie einen. In Wahrheit ist man ganz allein. Wenigstens bin ich nicht allein, wenigstens habe ich dich.«
»Nein, Sam«, antwortete Meredith. »Du bist vollkommen allein.«
Am Silvesterabend rief Josh Annapist an. Sam war fest entschlossen, ihm genauso einen Korb zu geben wie allen anderen, aber es stellte sich heraus, dass er ein deutlich dringenderes Anliegen hatte.
»Ich we iß, heute ist Silvester«, entschuldigte sich Josh, »aber ich dachte, du hast bestimmt auch nichts Größeres vor, deshalb wollte ich dich fragen, ob du nicht Lust hättest …«
»Ich will eigentlich nur allein sein«, unterbrach ihn Sam.
»… mich in der Klinik zu besuchen«, beendete Josh seinen Satz.
»Scheiße«, sagte Sam. »Was ist passiert?«
»Ich habe Leukämie«, antwortete Josh trocken.
»Ich meine, was ist diese Woche passiert? An Weihnachten ging es dir doch noch gut.« Noch während Sam es aussprach, fiel ihm ein, dass das nicht stimmte.
»Die Ärzte w issen es selbst nicht «, erklärte Josh. »Vielleicht ist es die Leber, vielleicht abe r auch die Lunge. Oder das Ciclosporin hat meine Nieren angegriffen. Jedenfalls geht es mir schon eine ganze Weile ziemlich dreckig. Deshalb wurde ich gestern Abend wieder ins St. Giles eingewiesen und …«
Sam wartete das Ende des Satzes gar nicht erst ab. Es spielte keine Rolle. »Ich komme sofort.«
Josh fühlte sich nicht nur beschissen, er sah auch so aus. Draußen war es eiskalt und regnete, aber er wollte trotzdem an die frische Luft und das Feuerwerk über der Space Needle sehen.
»Das gibt bestimmt Ärger«, sagte Sam.
»Es ist Silvester. Jeder, der heute Dienst hat, ist neu hier. Mit denen wirst du doch spielend fertig.«
»Draußen ist es aber viel zu kalt für dich.«
»Hast du etwa Angst, d ass ich krank werde?«, witzelte Josh.
»D ass du noch kränker wirst«, gab Sam zurück.
»Geh t quasi nicht.«
»Trotzdem …«
»Das ist mein letztes Silvester«, sagte Josh eindringlich. »Mein letzter Neujahrstag. Ich glaube, da sollte ich mir noch mal das Feuerwerk ansehen.«
Vom Dach des Krankenhauses hatte man einen wunderbaren Blick auf die Space
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