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Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Frankel
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es Flugzeuge, und Flugzeuge müssen fliegen. Und man träumt nachts vom Fliegen, wenn sie da hängen.«
    »Vom Fliegen träumt doch jeder«, sagte Sam.
    »Nicht so wie ich«, widersprach Meredith.
    A bwesend ist abwesend
    Es passierte, weil Sam es nicht ertrug, Meredith unglücklich zu sehen. Es passierte, weil er sich verzweifelt wünschte, ihr helfen zu können. Es passierte, weil sie sich immer noch in der Anfangsphase ihrer Beziehung befanden und er mit allen Mitteln ihr Herz erobern und ihr seine Liebe beweisen wollte. Es passierte, weil er arbeitslos war und Zeit hatte und der Sommer allmählich in den Herbst überging und das Wetter immer nasser und kälter und trostloser wurde. Und vor allem passierte es, weil er dreist genug war, daran zu glauben. Er hatte keine Ahnung, wo das alles hinführen würde, nicht die geringste. Wie auch?
    Es passierte auch, weil Sam erstaunt feststellte, dass Livvies Tod Neid in ihm auslöste. Natürlich war er nicht neidisch darauf, dass sie gestorben war, auch nicht darauf, dass Meredith einen geliebten Menschen verloren hatte. Er war neidisch auf ihre Erinnerungen. Es dauerte eine Weile, bis ihm das klar wurde. Zuerst dachte er, er würde einfach nur mit Meredith mitleiden. Dann dachte er, er wäre traurig, weil sie traurig war. Eine Zeit lang dachte er, sein Unmut rühre daher, dass er Livvie nie hatte kennenlernen dürfen. Irgendwann kam er sogar zu dem Schluss, ein egoistischer Mistkerl zu sein, der sich wünschte, seine Freundin würde endlich über den Verlust hinwegkommen – alte Menschen sterben nun mal! – und wieder die lebenslustige, fröhliche, heitere Frau werden, an die er sich dunkel erinnerte. Aber nein, das war alles nicht der Grund. Sam vermisste seine Mutter. Und das machte ihm zu schaffen.
    Es machte ihm zu schaffen, weil es hart war, jemanden zu vermissen, den man kaum gekannt hatte. Es war hart, jemanden zu vermissen, an den man sich nicht erinnerte. Vermissen bedeutet erinnern. Das eine geht nicht ohne das andere. Aber Sam besaß keine einzige echte Erinnerung an seine Mutter, deshalb tat er sich so schwer damit, sie zu vermissen. Bei ihm war es ein eigenartiges Gefühl, eher so, als hätte er etwas verpasst – einen Bus zum Beispiel. Es war ihm zwar bewusst, dass er etwas ungeheuer Wichtiges verloren hatte, aber ohne Erinnerungen, in denen er schwelgen konnte, ließ es sich nicht definieren, nicht festhalten.
    Seine Mutter war bei einem Autounfall gestorben, als er dreizehn Monate alt gewesen war. Laut seinem Vater hatte er bereits »Mama« zu ihr gesagt – sein erstes Wort – und war ganz vernarrt in sie gewesen. Sobald sie auch nur einen Moment den Raum verlassen habe, habe er geheult, und man habe ihn nie bei einem Babysitter lassen können, weil er sich jedes Mal heftig an seine Mutter geklammert und sich geweigert habe, sie loszulassen. Sam glaubte diese Geschichten sofort. Nicht weil sein Vater ihn nie anlügen würde – Sam hatte im Gegenteil den Verdacht, dass sein Vater ihn liebend gerne angelogen hätte, wenn er ihm dadurch wenigstens ein kleines Stückchen seiner Mutter, wenigstens einen winzigen Erinnerungsfetzen hätte zurückgeben können –, sondern weil dreizehn Monate alte Kleinkinder nun mal so sind. Sein Vater präsentierte ihm diese Anekdoten, als seien sie der Beweis für eine außergewöhnliche Liebe, dabei war diese Verbundenheit zwischen Mutter und Kind das Normalste der Welt, das wusste Sam.
    Auch die Fotos aus jener Zeit erzählten von einer ganz normalen Kindheit. Darauf war er zu sehen, wie er rot und runzlig und brüllend in ein Handtuch gewickelt dalag und aussah wie ein Burrito. Oder wie er wahlweise mit dem Hund, einem Schneemann und einem tropfenden Eis posierte, von oben bis unten mit Mehl bedeckt war, von Kunststoffdosen umringt auf dem Küchenboden kauerte, nackt und dreckig und grinsend durch den Vorgarten krabbelte, mit einer viel zu großen Mütze auf einer Rutsche thronte oder von Gänsen, Kälbern, Schafen, Ziegen und einmal sogar von einem Yak angeknabbert wurde. Es gab Fotos von Sam und seiner Mutter mit absurd weiten Hosen und schrecklichen Hemden mit abstehenden Krägen und wallenden Locken (seine Mutter hatte die wallenden Locken; sie lebte nicht lange genug, um Sam mit mehr als fünf Haaren auf dem Kopf zu sehen). Zwei Fotos erschienen Sam besonders bedeutsam. Auf dem ersten lag sie auf einem flauschigen grünen Teppich auf dem Rücken und sah mit ihren wilden, um sich ausgebreiteten Haaren aus wie

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