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Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Frankel
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heraus Klavierstunden genommen (zugegeben, die Klavierlehrerin war sehr attraktiv gewesen) und sich als ziemliches Naturtalent erwiesen. Als er in den Herbstferien seinem Vater davon erzählt hatte, hatte der nur wehmütig gelächelt und gesagt: »Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.«
    »Wie meinst du das?«
    »Deine Mutter konnte wunderbar Klavier spielen.«
    »Wirklich ?«
    »Oh ja. Sie hat Musik im Nebenfach studiert.«
    »Mir hast du immer nur erzählt , dass sie Englisch im Hauptfach hatte.«
    »Und Musik im Nebenfach«, fügte Sams Vater hinzu. Er ging sparsam mit den Geschichten über Sams Mutter um und schwelgte nie einen ganzen Abend lang in Erinnerungen oder gab eine Anekdote nach der anderen zum Besten. Stattdessen bekam Sam das Leben seiner Mutter in kleinen Portionen serviert. Jede Geschichte war frisch und neu, eine in sich geschlossene Einheit, die Sam nur erfuhr, wenn er von selbst ein Thema anschnitt. Auf diese Weise gingen die Geschichten nie aus, und es gab immer welche, die Sam noch nicht kannte. Es war, als wäre das Leben seiner Mutter noch gar nicht zu Ende, als gäbe es immer etwas Neues zu entdecken, immer einen Winkel, der erkundet werden wollte. So wenig wie Sam über die sportlichen Interessen seiner Mutter wusste, hätte sie auch zweiter Baseman für die New York Mets sein können.
    Als sie später endlich in der Wärme ihrer Wohnung im Bett lagen, wurde ihm klar, dass das Gefühl, das ihn schon die ganze Zeit begleitete, Neid war. Was hätte er nicht alles darum gegeben zu wissen, was seine Mutter bei einem Baseballspiel gesagt hätte! Meredith, die offenbar im selben Gedankenzug reiste, wenn auch in einem anderen Waggon, grübelte laut: »Ist es eigentlich komisch, dass ich sie so sehr vermisse, obwohl ich doch genau weiß, was sie sagen würde, wenn sie da wäre? Ich hätte heute problemlos beide Seiten der Unterhaltung bestreiten und den ganzen Tag eins zu eins rekonstruieren können , Szene für Szene, ganz so, als ob sie bei mir wäre .«
    »Keine Ahnung , warum, aber das ist nicht dasselbe«, antwortete Sam. Natürlich war es nicht dasselbe.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Wenigstens kann ich jetzt so tun, als wäre sie in Florida. Wenn ich weiß, dass ich sie sowieso nicht treffen könnte, fällt es mir vielleicht leichter.«
    »Abwesend ist al so abwesend, egal aus welchem Grund?«
    »Ich glaube schon. Allerdings würden wir uns n ormalerweise E-Mails schicken und per Video-Chat unterhalten. Oder sie würde mir zwischendurch eine SMS vom Strand schicken, nur um mich zu ärgern. Verstehst du?«
    »Klar«, antwortete Sam. »Heutzutage ist abwesend eben längst nicht mehr so abwesend wie früher.«
    W ohin damit?
    Merediths Frage ging Sam nicht mehr aus dem Kopf. Einerseits weil Meredith ohnehin jeden Winkel seines Verstands okkupierte, aber auch weil es eine so interessante Frage war. Warum vermisste Meredith Livvie so sehr, obwohl sie doch genau wusste, was sie sagen würde, wenn sie da wäre? Was genau vermissen wir, wenn uns geliebte Menschen verlassen, die wir so gut kennen, dass wir ihre Sätze beenden und ihre ungedachten Gedanken denken können?
    »Glau bst du, es sind die zufälligen Zwischenbemerkungen?«, fragte Sam am nächsten Abend nach dem Abendessen.
    »Ob ich glaube, dass was die zufälligen Zwischenbemerkungen sind?«
    »Wenn du die Eckpunkte der Aussagen kennst, die sie bei einem Baseballspiel machen würde, sind es dann die zufälligen Dinge dazwischen, die du vermisst?«
    »An meiner Großmutter?«
    »Ja.«
    »Zum Beispiel, dass sie mir von ihrem Bridge-Spiel am Vorabend erzähl t oder sich über den Shortstop aufregt oder überlegt, ob sie sich ein Cola holen soll oder lieber ihre Flasche am Trinkbrunnen auffüllt?«
    »So in der Art.«
    Meredith dachte nach. »Ich glaube nicht. Ich vermisse eher ihr Wesen, ihre Persönlichkeit. Jeder überlegt doch, was er trinken soll, wenn er Durst hat. Allerdings würde nur sie sagen, dass man Relief Pitcher aus Flugzeugen stoßen sollte, und zwar mit Fallschirmen, in die genau so viele Löcher geschnitten sind, wie sie gegnerische Punkte verschuldet haben. «
    »Sind es Berührungen?«, fragt e Sam behutsam.
    »Vielleicht. Ein bis schen. Ich weiß nicht. Oma und ich haben uns meistens nur kurz umarmt oder auf die Wange geküsst.«
    »Vermisst du ihre Stimme? Vermisst du es, sie zu sehen?«
    »Ich weiß nicht«, wiederholte Meredith . »Man sollte meinen, dass vorhersehbare Gespräche langweilig wären, aber das

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