Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)

PR-Abteilung von Judys Präsentation gehalten hat oder welche Auswirkungen es auf die Vertriebsabteilung in Bangladesch hatte? Nein und noch mal nein. Wenn du mich auch nur einmal hättest ausreden lassen, hättest du das auch gewusst. Ich bin deine Frau, du Scheißkerl! Was nicht heißt, dass du mich als selbstverständlich voraussetzen kannst. Man hält seine Frau nicht für selbstverständlich. Was, wenn ich dich verlassen hätte? Du wärst doch ohne mich nie zurechtgekommen. Du hättest nicht eine Woche ohne mich überlebt. Gestorben bist du dann trotzdem, aber zum Glück nicht, weil dich deine unglückliche Ehefrau verlassen hat. Das wäre auch ein ganz schön peinlicher Abgang gewesen, was? « Sie war danach so in Hochstimmung, dass sie am Ende der Sitzung einen Löschvorgang beantragte und einen Monat lang zweimal die Woche zurückkam, um das Gleiche noch mal zu machen – Neustart, Gekeife, Löschvorgang, Neustart. Mit tobenden Witwen hatte Sam nicht gerechnet, aber als Edith ihm verlegen erklärte, dass sie zu Bobs Lebzeiten einfach nie den Mut dazu aufgebracht hatte, musste er zugeben, dass ihr Verhalten absolut einleuchtend war.
    Der siebzehnjährige David Elliot brachte seine Gitarre mit und spielte seiner Mutter einen Monat lang jeden Tag selbst geschriebene Songs vor, zu denen ihn ihr Tod inspiriert hatte. Auch damit hatte Sam nicht gerechnet. Anfangs fürchtete er, dass sich die anderen Kunden durch David gestört fühlen könnten, aber es machten sogar alle eine Chat-Pause, wenn er spielte, um ihm zuzuhören und hinterher leise zu applaudieren. Eines verregneten Nachmittags beugte sich Edith über Davids Computer und sagte in die Kamera: »Mrs. Elliot, Sie können stolz sein auf Ihren talentierten Sohn. Er versüßt uns hier allen die Tage.« Damit hatte Sam ebenfalls nicht gerechnet.
    Celia Montrose brachte ihre niedergeschlagene Tochter Kelly mit, damit sie per Video-Chat mit ihrem Vater sprechen konnte. Celia selbst brachte es nicht über sich, ihren verstorbenen Mann zu sehen. »Ich möchte ihn so im Gedächtnis behalten, wie er war «, erklärte sie. »Ich will jetzt sofort anfangen, um ihn zu trauern, damit ich irgendwann auch wieder einmal damit aufhören kann.« Aber Kelly wollte ihren Vater unbedingt als Projektion in ihrem Leben behalten, und Celia tat alles für ihre Tochter . Damit hatte Sam vielleicht sogar gerechnet. Nicht gerechnet hatte er mit dem, was Kelly dann während der Video-Chats mit ihrem Vater tat: Sie ließ sich von ihm bei der Vorbereitung der Prüfungen für ein Stipendium helfen. Die beiden saßen stundenlang da und redeten über nichts anderes als über Mathe-Aufgaben. Nach einer besonders intensiven Sitzung fand Meredith Kelly in Tränen aufgelöst auf der Toilette vor. »Schon gut.« Meredith nahm sie tröstend in den Arm. »Ich weiß, wie schwer es ist, einen geliebten Menschen zu vermissen.«
    »Das ist es gar nicht«, schniefte Kelly. »Aber er weiß einfach alles. Dieses Zeug fällt mir so schwer und ihm so unglaublich leicht.«
    »Vergiss nicht, dass er auf den Prozessor des Rechners zurückgreifen kann«, erklärte ihr Sam später. »Er löst diese ganzen Aufgaben nicht alleine.«
    »Er muss mich für absolut schwachsinnig halten«, schluchzte Kelly. Sam rief seinen Vater an und ließ sich von ihm die manipulierte Mathe-Software , die er damals für den siebenjährigen Sam entwickelt hatte, in Benjamin Montrose’ Projektion einbauen. Als Kelly das nächste Mal mit ihrem Vater sprach, beharrte dieser darauf, dass die Winkelsumme eines Dreiecks 6104 Grad ergebe, dass der Wert x gleich elf sei, ganz gleich bei welcher Aufgabe, und dass Pi eine Quadratzahl sei und keine Kreiszahl. Kelly kicherte so heftig, dass sie vom Stuhl fiel. Celia dankte Sam dafür, dass er ihre Tochter zum ersten Mal seit Monaten zum Lachen gebracht hatte, drohte ihm aber auch, dass sie ihm die Schuld geben würde, falls Kelly es nicht auf ein gutes College schaffte. Eines Nachmittags entdeckte Meredith Kelly auf dem Sofa in der Ecke, wo ihr David Elliot Algebra-Nachhilfe gab. Plötzlich schien sich keiner von beiden mehr für Computer zu interessieren.
    Mr. und Mrs. Benson waren die ersten ihrer Art, unglücklicherweise die ersten von vielen, die noch folgen sollten. Sam hatte Kunden wie sie erwartet, was nicht hieß, dass er vorbereitet war. Mr. und Mrs. Benson hatten ihre Tochter Maggie verloren, die im ersten College-Semester aus dem Fenster ihres Wohnheimzimmers gefallen und auf dem Kopf