Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
Kinder gedacht. Es wird nicht funktionieren …«
»Aber das wissen diese Leute nicht! Sie haben keine Hoffnung mehr und klammern sich an alles, was sie finden können, wie mickrig und klein es auch ist.«
»Es ist aber nicht unsere Aufgabe, diesen Eltern zu sagen: ›Du hast noch drei Wochen mit deinem Kind. Geh mit ihm in den Park, sorg dafür, dass es Spa ß hat. Verschwende ja keine Zeit vor einem Laptop.‹ Dafür gibt es Sozialarbeiter, Trauerbegleiter …«
»Wi r haben dafür gesorgt, dass RePrise zur Verfügung steht. Es sind immer die Verzweifelten, die Unglücklichen, die Kaputten, die sich daran festklammern und nicht mehr loslassen. Weil sie gar nicht anders können.«
»Das ist nicht unser Pr oblem«, sagte Sam. »Weil wir nicht jedem damit helfen können, heißt das noch lange nicht, dass wir niemandem mehr damit helfen dürfen.«
»W eil wir einigen damit helfen«, konterte Meredith, »heißt das noch lange nicht, dass wir anderen damit Schaden zufügen dürfen.«
»Das , was diese Leute sich wünschen, kriegen sie sowieso nirgendwo.« Sam sprach jetzt wieder ganz leise. »Sie kriegen keine Kinder, die hundert Jahre alt werden. Das kann ihnen keiner geben. Ich weiß nicht, wer die Schuld daran trägt, aber wir sind es nicht.«
»Aber wir machen es nicht besser.«
»Doch. Vielleicht nicht für diese Menschen, weil ihre Kinder noch zu jung sind. Aber denk an die Bensons. Leuten wie ihnen geben wir das Einzige, was wir zu geben in der Lage sind: die Möglichkeit, ihr verstorbenes Kind wiederzusehen.«
»Das reicht nicht .«
»Mehr können wir abe r nicht tun, Merde. Und sonst auch niemand.« Als sie nichts sagte, fügte er hinzu: » Du hast dich doch auch besser gefühlt durch RePrise.«
»Das reicht nicht«, wiederholte sie.
Sie rief Dash an und hinterließ mit zitternder Stimme eine wirre Nachricht auf seinem Anrufbeantworter, aus der er nicht schlau wurde und in der Wörter wie »Klinik«, »Katastrophe« und »übergeben « vorkamen. Als er voller Panik zurückrief, wollte Meredith nicht ans Telefon kommen , und Sam hatte keine Ahnung, wie er Dash beruhigen sollte. Nein, sie liege nicht im Sterben. Nein, er auch nicht. Nein, es habe niemand die Software gehackt, im Salon sei nicht eingebrochen worden und Mount Rainier sei auch nicht ausgebrochen. Eigentlich sei alles in Ordnung, und doch sei gar nichts in Ordnung. Dash versprach, am nächsten Morgen mit dem ersten Flieger zu kommen. In der Zwischenzeit gab Meredith kaum einen Laut von sich. Sie aß und schlief nicht, saß die meiste Zeit in eine Decke gewickelt auf dem Sofa und starrte aus dem Fenster. Sam versuchte vergeblich, sie zu füttern, versuchte vergeblich, sie erst mit einem Baseballspiel im Fernsehen, dann mit einem Film und schließlich mit einer Partie Rummikub abzulenken. Er versuchte, sie dazu zu bewegen, mit ihm ins Bett zu kommen, aber sie wollte nicht. Also ging er schließlich allein, konnte aber auch nicht schlafen. Das Weinen des kleinen Mädchens ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, die Gesichter ihrer Eltern, Dr. Dixons stille Wut. Meredith, wie sie im Auto schluchzte. Er bekam den Krankenhausgeruch nicht mehr aus der Nase.
Gleichzeitig verspürte er den Wunsch, das Gute, das sie bewirkt hatten, zu verteidigen. Es war nicht fair, dass ihnen alles weggenommen wurde, nur weil ein paar übermüdete, verzweifelte, in den Wahnsinn getriebene, die Hölle durchmachende Eltern nicht verstehen wollten, dass RePrise bei Kindern nicht funktionierte. Sie taten ihm schrecklich leid, natürlich taten sie ihm leid. Aber Sam hatte das Bedürfnis, seine Kunden zu beschützen. Und auf bizarre, dunkle, schwer verständliche Weise hatte er auch das Bedürfnis, seine Projektionen zu beschützen. Was würde aus ihnen werden, wenn es Dead Mail einmal nicht mehr gab?
»Hör zu«, sagte Dash am nächsten Morgen zu Meredith. »Ich habe Schokoladenku chen von Hellner’s mitgebracht – das beste Frühstück auf der ganzen Welt – und meinen Hintern um drei Uhr morgens aus dem Bett geschwungen, um hier bei dir zu sein. Sam liebt dich, und ich liebe dich, und außerdem tun Sam und mir sterbende kleine Kinder und ihre Eltern genauso leid wie dir. Das liegt ja wohl auf der Hand. Also lass uns alle ein bisschen runterkommen.«
»Ich hab doch gar nichts g esagt.« Meredith warf ihm aus geschwollenen Augen einen finsteren Blick zu. Keiner von ihnen hatte in der letzten Nacht ein Auge zugedrückt, und das sah man ihnen an.
»Dann wird es aber
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