Der Allesforscher: Roman (German Edition)
hinter mir.
Eine Dame aber fauchte: »Mein Gott, was soll er denn tun?«
Jemand dritter erkundigte sich allen Ernstes, ob nicht irgendwo ein Arzt sei.
»Man könnte einen ausrufen lassen«, schlug eine vierte Person vor.
»Hat jemand Riechsalz?«
»Ein totes Tier ist verdammt noch mal ein totes Tier.«
Andere sagten anderes. Hilfreiches hielt sich dabei in Grenzen.
Ich kniete mich hin, umfaßte mit meinen Händen den Entenrumpf und massierte den Leib. Mir fiel einfach nichts Besseres ein, als gewissermaßen Bewegung in diesen bewegungslosen Körper hineinzutreiben. Wie man ein Rad dadurch in Gang bringt, daß man in die Pedale tritt. – Was ich tat, mochte lächerlich anmuten, aber esoterisch war es nicht.
Nun, es war nicht einmal lächerlich. Denn mit einemmal …
Eines der beiden Augen des Tiers ging auf, nur eines, dann hob der Enterich den Kopf und schnappte nach mir. Ich zog meine Hände zurück und stand auf. Auch der Erpel rappelte sich hoch und geriet auf die Beine, auf denen er aber sehr unsicher stand, stark gespreizt. Ich sah, daß sein rechtes Auge noch immer geschlossen war. Er bewegte sich jetzt langsam nach vorn. Das Weibchen näherte sich ihm, allerdings zögerlich, mit vorgestrecktem Hals. Es schien, als sei sie nicht sicher, ob ihr Partner der war, der er gewesen war, bevor er umgekippt und für einige Zeit unter Wasser geraten war. Wobei Enten ja …
Wie lange konnten Enten unter Wasser bleiben? In der Tat wurde genau diese Frage von den Badegästen diskutiert. Jemand sprach von sechs Minuten, wurde aber darauf hingewiesen, daß so was zwar für irgendwelche Spezialenten gelten mochte, aber sicher nicht für Stockenten, bei denen sei es sehr viel kürzer.
Weniger als beim Menschen?
Ein kleiner Streit entspann sich, während das betroffene Tier noch immer im Stil des Angeknockten über den Weg torkelte, sein Weibchen in gebührendem Abstand hinter ihm. Nun bereits unbeachtet von den Badegästen, die fortgesetzt über Tauchzeiten bei Menschen und Tieren diskutierten oder sich wieder ihren Büchern und Cremes und Tageszeitungen und elektronischen Geräten zugewandt hatten (einige zum Thema des Luftanhaltens googelnd).
Als am nächsten Tag das Entenpaar in der bekannten Art auf dem Bergwasser landete, schien der Erpel vollständig hergestellt zu sein. Es war noch recht früh am Tag und nur wenige Leute im Wasser. Die zwei Tiere trieben auf den schwachen Wellen, die einige Dauerschwimmer verursachten (nie haben Menschen langsamer gekrault, ohne dabei unterzugehen).
Ich spazierte am Beckenrand entlang und beobachtete das Entenpaar. Dabei sah ich, daß das männliche Tier noch immer das eine Auge geschlossen hatte. Ich fragte mich, ob es möglich war, daß der kleine Kerl einen Schlaganfall erlitten hatte und sein rechtes Auge – besser gesagt, das schlaffe Lid – nun eine Folge davon war, so wie bei Menschen die herabhängenden Mundwinkel. Immerhin schien die Persönlichkeit des Enterichs sich nicht verändert zu haben. Er war nicht unverschämter als üblich, schwamm nicht näher als zuvor an die Badenden heran, wirkte aber auch nicht scheuer oder ängstlicher, zudem war seine Partnerin wieder in der gewohnten Weise an seiner Seite und er an der ihren. Nur das eine Auge war zu, und das würde auch in Zukunft so bleiben.
Einige der Gäste tauften ihn darum Einauge . Sie schauten in den Himmel, und wenn zwei Punkte sich näherten, sagten sie: »Ah, da kommt schon wieder Einauge.«
Das Weibchen aber blieb ohne Namen. Wie es schien, war es die Deformation, der Defekt, das Stigma, welches die Menschen animierte, Dingen Namen zu geben, die sonst keine besaßen. Oder sich Namen verunfallter Dinge besser zu merken als andere. Kein Schiffsname war so bekannt wie der eines untergegangenen Dampfers. Selbst die Queen Elizabeth konnte da nicht mithalten.
Jedenfalls rechnete man mir hoch an, Einauge gerettet zu haben. Obgleich ich eigentlich befürchtet hatte, einiges an Spott aushalten zu müssen. Aber nichts dergleichen geschah. Die meisten Leute betrachteten das Vorgefallene mit größtem Ernst. Selbst jene, die prinzipiell oder aus hygienischen Gründen gegen die Ente waren, begrüßten mein Einschreiten. Auch wenn der eine oder andere die Enten gerne tot gesehen hätte, nicht auf diese Weise, nicht durch einen Schlaganfall, der zum Ertrinken führte. Hätte die Stadt für die Rettung von Enten Medaillen vorgesehen, man hätte sie mir gegeben.
Was ich dann eine Woche später erhielt,
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