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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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war ein Anruf. Es war Mercedes. Ich dachte, er wollte sich bedanken für die kleine Serie von iPad-Bildern, die ich auf der Berghütte aufgenommen und ihm geschickt hatte. Er aber sagte: »Herr Braun, ich habe Ihre Schwester getroffen.«
    »Wie bitte?«
    Zur Erinnerung: Ich hatte Astri ihm gegenüber mit keinem Wort erwähnt. Und soweit ich wußte, hatte auch Kerstin nicht über meine Schwester geredet oder gar erzählt, daß Astri genau an diesem Berg ums Leben gekommen war. – Nun, vielleicht meinte er jemand anderes, den er fälschlicherweise für meine Schwester hielt. Ich fragte: »Welche Schwester?«
    »Astri natürlich.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Ich war nie jemand«, sagte Mercedes, »der sich gut an seine Träume, erinnern konnte. Das ist jetzt aber anders. Seitdem Ihre Schwester bei mir auftaucht, erinnere ich mich an meine Träume, wie man sich an das erinnert, was gestern oder vorgestern geschehen ist.«
    Sowenig er sich im Traum darüber bewußt sei zu träumen, so klar und deutlich sei hinterher seine Erinnerung an das Geschehene. Und eben auch, daß in all diesen Träumen Astri in Erscheinung trete. Mercedes sagte: »Sie verlangt von mir, daß ich ihr das Messerwerfen beibringe.«
    »Meine Güte, wozu das denn?« fragte ich.
    »Ja, das wollte ich auch von ihr wissen.«
    »Und?«
    »Sie sagt, weil es sie interessiere und sie im Leben dazu nie die Gelegenheit gehabt habe. – Aber ich glaube ihr das nicht.«
    Ich erwähnte nun, ihm gegenüber niemals von Astri erzählt zu haben.
    »Ja«, sagte er, »aber sie von Ihnen. Sie hat mir gleich gesagt, wer ihr großer Bruder ist und welcher Berg es war, an dem sie gestorben ist. Wobei mir scheint, daß sie gar nicht weiß, was wirklich geschehen ist damals. Sie zermartert sich das Hirn, aber … Absurd, nicht wahr, daß Ihre Schwester in meinem Traum ist und ich auch noch behaupte, sie würde sich ein Hirn zermartern, welches längst zerfressen und zerfallen ist.«
    Erst in diesem Moment wurde mir so richtig bewußt, daß Astri seit der Nacht, die ich mit Simon im Bergwerk zugebracht hatte, nicht wieder in meinen Träumen aufgetaucht war. Beziehungsweise hätte ich nicht sagen können, was zuletzt in meinen Träumen geschehen war. Hätte ich in einem davon einen Mord begangen, ich hätte jetzt dagestanden ohne die geringste Ahnung und ohne das geringste Schuldgefühl. Hätte es deswegen einen Prozeß gegeben, ich hätte mit gutem Gewissen auf unschuldig plädiert.
    Anders ging es Mercedes, der offensichtlich begonnen hatte, Nacht für Nacht meine Schwester in der Fertigkeit des Messerwerfens zu unterrichten. Und zwar mit dem unangenehmen Gefühl, mehr als ein Interesse zu fördern, mehr als die pure Freude – und sich auf eine gewisse Weise schuldig zu machen.
    Ich sagte ihm: »Sie könnten sich weigern.«
    Er aber meinte: »Ihre Schwester ist sehr überzeugend.«
    »Droht sie Ihnen?«
    »Nein, aber sie kommt einfach, wie es ihr paßt. Und ich bin in diesen Träumen ziemlich stumm. Argumente fallen mir erst ein, wenn ich aufwache. – Ich würde das alles gerne mit Ihnen besprechen, aber nicht am Telefon.«
    »Wieso? Werden Sie abgehört?«
    »Wir werden alle abgehört«, sagte Mercedes. »Aber das ist es nicht. Mir wäre einfach lieber, wenn Sie hier sind. Ich würde Sie und Ihre Frau und Ihr Kind gerne einladen, nach Tirol zu kommen.«
    »Da waren wir doch gerade.«
    »Ich würde mich trotzdem freuen, wenn Sie kommen könnten. Übers Wochenende oder auch länger, ganz wie Sie mögen.«
    »Ich muß arbeiten und das Kind in die Schule gehen.«
    »Ich kann Sie nur bitten«, sagte Mercedes, der übrigens weder Tiroler noch Österreicher war, sondern aus dem Norden Deutschlands stammte. Während es sich bei seiner Frau, der Pianistin, um eine Italienerin handelte: Clara Foresta. Ich hatte sie gegoogelt – das tat man heutzutage mit der gleichen Unverschämtheit, mit der man an fremder Unterwäsche schnüffelte – und festgestellt, daß sie in den Sechzigern und Siebzigern durchaus berühmt gewesen war, dann aber in Vergessenheit geriet. Einige Kritiker hatten sie mit dem frühen Glenn Gould verglichen. Wie dieser war sie vor allem durch ihre Interpretationen Bachs aufgefallen, hatte sich daneben aber auch den Kompositionen eines Tonkünstlers gewidmet, von dem nicht klar gewesen war, ob er tatsächlich gelebt hatte oder von ihr erfunden worden war. Diese Geschichte hatte sie in Verruf gebracht – der Verdacht, eine Fälschung begangen zu

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