Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
explodieren, wenn das noch möglich war.
    Der Zehn-Millionen-Mann sah zwischen mir und dem Wal nervös hin und her. Er hatte wohl vorgehabt, seine Tat zu genießen, mich noch einmal zur Rede zu stellen und meine Angst zu verstärken. Möglicherweise hatte er geplant, mir einreden zu wollen, daß das hier gar kein Traum war. Vielleicht hatte er gehofft, mich in den Irrsinn zu treiben. Einen, der anhalten würde, auch wenn ich längst erwacht war.
    Doch nun stand der Zehn-Millionen-Mann unter Zugzwang. Keine Zeit für Spielchen.
    Er richtete den Lauf seiner Preßluftharpune auf meinen Brustkorb. Sein Finger bog sich um den Abzug. Sein Augenpaar jedoch glitt in die andere Richtung, weg vom Wal, weg auch von mir, ans andere Straßenende. Erneut folgte ich seinem erstaunten Blick: Es war Astri, die er sah.
    Sie kam rasch näher, den Arm gehoben.
    Der Zehn-Millionen-Mann schrie: »Jetzt reicht’s.«
    In dem Augenblick, da er dies ausrief, explodierte der Wal.
    Traum hin oder her, es ging alles so rasch, als wär’s das richtige Leben: wie da die Walteile durch die Luft flogen und der von Preßluft angetriebene Pfeil an einer Schnur auf mich zuschnellte. – Ich sah der Spitze ins Auge.
    Doch da war noch eine andere Spitze. Eine Messerspitze.
    Bevor mich nämlich der Pfeil erreichte, traf ihn das Messer, welches Astri im selben Moment geworfen hatte, da der Zehn-Millionen-Mann abgedrückt hatte und der Wal explodiert war. Dergestalt geriet die Harpune aus ihrer Flugbahn und wurde in einer Weise zur Seite und ein wenig nach oben abgelenkt, um genau in jenes Stück des Wals einzudringen, das von der rechten Seite auf meinen Schädel zugeschossen kam. Und welches nun einen Fingerbreit an meinem Hinterkopf vorbeiflog.
    Das Ganze hätte ein wirklich schönes Rechenbeispiel ergeben, alle einwirkenden Kräfte und Distanzen und Gewichte berücksichtigend, denen zu verdanken war, daß ich nicht gleichzeitig von einem Stahlpfeil in der Brust und einem Stück Walfleisch am Kopf getroffen wurde, sondern völlig unbeschadet blieb.
    Ich schaute hinüber zu Astri. Zu meiner hellsichtigen Schwester, die einmal behauptet hatte, nicht in die Zukunft der Träume sehen zu können. Aber eine Ahnung mußte sie gehabt haben und hatte deshalb also darauf bestanden, von Mercedes das Messerwerfen zu erlernen. Sie selbst wäre nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig bei mir zu sein, mich umzuwerfen, aus der Zielbahn zu befördern, mich zu retten. Mit dem Messer aber war es gelungen.
    Ich wollte ihr etwas zurufen. Aber sie war verschwunden. Verschwunden wie der Wal und der Zehn-Millionen-Mann. Ich würde sie alle nie wiedersehen.
    Als ich erwachte, war ich in keiner Weise erschöpft oder erledigt, sondern fühlte mich ausgesprochen frei. – Keine Frage, es ist pure Phantasie, purer Blödsinn zu meinen, wäre ich jetzt im Traum gestorben, hätte dies auch bedeutet, im wirklichen Leben zu sterben. Natürlich nicht. Es war etwas anderes, das sich auswirken würde: Es war die Rettung.
    Astri hatte mich gerettet, vorausschauend, klug und mit größtem Geschick. Und dies hatte durchaus eine Folge für mein Leben. Ohne ihr Eingreifen wäre ich in einen Kreislauf von erschöpfenden Alpträumen geraten. Diese Rettung jedoch beruhigte meine Traumwelt und pflanzte sich in mein Wachsein fort.
    Es gibt sie, die guten Geister.
    Drei Tage später hörte der Schneefall endgültig auf, es wurde wärmer, es taute, und die von der sogenannten Außenwelt abgeschnittenen Täler und Berge fanden wieder Anschluß an das Leben der Hauptorte. Straßen wurden frei geräumt und freigegeben und ein paar Leute ins Krankenhaus gebracht.
    Auch Clara mußte zum Arzt, saß aber bald wieder an ihrem Steinway-Flügel und spielte 825  – nun wieder in der traditionellen Reihenfolge.
    Andreas wurde unser Familienhund. Denn so leicht es Simon gefallen war, auf Sonja zu verzichten, so traurig wurde er, als ich ihm erklärte, daß wir den Hund nicht mitnehmen könnten. Simon versuchte mir deutlich zu machen, sich um den Hund kümmern zu wollen und stets darauf zu achten, die Farbe der beiden Kreuze zu erneuern, quasi den Hund frisch anzustreichen. Er meinte das ernst. Er wußte, daß Andreas ohne Kreuze nicht der gleiche war und daß davon auch dessen Unversehrtheit abhängen konnte. Indem die rote Farbe eben immer gut sichtbar blieb und nicht etwa im Zuge von Wind und Wetter verblaßte.
    Ich redete mit der Chefin. Sie ließ sich ein wenig bitten, gab dann aber relativ schnell nach.

Weitere Kostenlose Bücher