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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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einer Zeit, als ich noch gar nicht hatte wissen können, daß er existierte. Dieser »Gruß aus der Vergangenheit« gehörte mir allein, und ich wollte ihn nicht teilen, indem ich vor Auden die ganze Geschichte ausbreitete. Wozu? Nur, weil er ebenfalls aus Taiwan stammte? Wirklich nicht!
    Er aber trat an mir vorbei und näherte sich dem Bild, das ich so auffällig betrachtet hatte. Ich hätte ihn gerne weggestoßen, statt dessen machte ich Platz. Er hätte es kaum verstanden, wäre ich jetzt aggressiv geworden. – Sollte er halt schauen.
    Wenn ich ihn gerade noch mit einem Pelztier verglichen hatte, so war jetzt zu ergänzen: ein totes Pelztier. Zumindest schien Auden, da er nun die Fotografie betrachtete, mit einemmal ohne Atmung: sein Mund offen, aber in diesem Mund herrschte absolute Windstille.
    Er schien paralysiert.
    »Waren Sie schon einmal dort«, fragte ich, »ich meine, in diesem Gebirge?«
    Er schüttelte den Kopf, wozu er ja weder ein- noch ausatmen mußte.
    Doch es war unverkennbar, wie sehr etwas an diesem Bild ihn betroffen machte. Vielleicht nicht in derselben Weise wie mich, der ich darauf Lana erkannt hatte. Vielleicht war ihm, Auden, die Chinesin vertraut. Oder er erkannte in den beiden Bergsteigern, die im Vordergrund posierten, jene Leute, die ihn verfolgt und dazu getrieben hatten, Taiwan zu verlassen und in Tirol ein neues Leben zu beginnen. Quasi vom Millionär zum Tellerwäscher. Wobei es natürlich besser war, ein lebender Tellerwäscher zu sein als ein toter Millionär. Möglicherweise jedoch war es gar nicht der Anblick einer der Personen, der ihn so verstörte. Vielleicht hing es mit den Bergen zusammen. Oder mit dem Monument. Dunkler Stein. – Auden war nicht weniger ein Mann der Geheimnisse als ich selbst.
    Die Frage, die mich aber vor allem beschäftigte, war die, ob ich das Foto abhängen und mit nach unten nehmen sollte. Ohne zu fragen. Was auch hätte ich fragen sollen?
    Ich besaß kein einziges Bild von Lana. So weit war es nie gekommen. Andererseits schien dieses Foto an dieser Stelle einen idealen Platz gefunden zu haben. Die Reihe von sechzehn Aufnahmen füllte die gesamte Wandfläche, keines zuviel, keines zuwenig. Und obgleich die verschiedenen Abzüge aus verschiedenen Zeiten stammten, verteilt über hundert Jahre, wirkten sie einheitlich, die Welt umspannend. Und in der Tat war ein jeder der sechs Kontinente vertreten. Denn Berge gibt’s überall und zu jeder Zeit: der Erde faltige Haut.
    Ich beschloß, das Bild an seinem Platz zu lassen. Immerhin kannte ich den jetzt und würde später die Möglichkeit haben, diesen Ort immer wieder aufzusuchen. Wie man eine Kapelle aufsucht. Kapellen nimmt man auch nicht mit nach Hause.
    Ich berührte Auden sachte am Arm und sagte: »Gehen wir! Mercedes wartet sicher schon.«
    Indem ich Auden anfaßte, begann er wieder zu atmen. Er nickte mir leicht zu und drückte sich aus dem Bannkreis der Fotografie wie aus einer Blase. Ich folgte seiner Spur.
    Draußen wartete tatsächlich Mercedes mit leichter Ungeduld. Zwischen Auden und mir trottete der Hund, der Andreas hieß und rechts und links zwei aufgemalte Balken besaß. In der Ferne drohte über den Bergen des Karwendels die nächste Wetterfront. Wir schnallten unsere Skier an und fuhren im hohen, nachgebenden Schnee nach unten.
    Tiefschnee: pulverig, schaumig, schwierig!
    Ich fiel einige Male hin, Auden ebenso, auch den Hund Andreas fegte es mehrmals von den Beinen, nur Mercedes stürzte kein einziges Mal. Unverletzt aber waren wir alle vier geblieben, als wir im Halbdunkel die Hütte der Tulfeinalm erreichten.
    Mercedes kehrte augenblicklich zu seiner Frau zurück, Auden zu seiner Küchenarbeit und ich zu Kerstin und Simon, die beide vor einem Go-Brett saßen – die Frau Schwarz, das Kind Weiß – und mit Steinen (die man als elegante Vorfahren der »vielen bunten Smarties« ansehen konnte) ihre Territorien besetzten und vergrößerten, wobei die zwei geradezu verträumt wirkten. Japan träumend, eine gute Schlacht träumend. Eine Schlacht ohne Blut.
    Kerstins Blick blieb fortgesetzt auf das Brett gerichtet, als ich mich neben sie setzte. Sie griff kurz nach meinem Handrücken, drückte ihn leicht und ließ ihn wieder los, um einen Spielstein zu setzen. Dabei fragte sie, ob alles in Ordnung sei. Und ob ich oben auf der Glungezerhütte etwas entdeckt hätte.
    »Einen Hund«, sagte ich.
    »Ach was! Und sonst nichts?«
    »Nein«, log ich.
    Es wunderte mich gar nicht, daß noch am

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