Der Allesforscher: Roman (German Edition)
Geschäftsmannes, der auf die Äußerung seines Gegenübers, krank gewesen zu sein, antwortet: »Krank? In dieser Liga wird man von ’nem Auto überfahren und stirbt trotzdem nicht.«
»Das ist für Schmidt einfacher«, sagte ich, »wenn man bedenkt, daß er höchstwahrscheinlich ein Untoter ist.«
»Du scherzt.«
»Eigentlich nicht. Es ist Scherz genug, daß mich so ein Seeungeheuer fast erschlagen hätte.«
»Stimmt«, sagte er und lachte erneut in seiner bellenden Weise. »Da wirst du dir noch einiges an Spott anhören müssen. Trotz der zwei Tage im Koma. Aber es ist halt ziemlich unheroisch, wenn die verirrte Kugel, die einen getroffen hat, aus einem Haufen schleimiger Walkutteln besteht.«
Da hatte er wirklich recht. Ich würde es in Zukunft soweit wie möglich vermeiden, von dieser Geschichte zu berichten, sosehr sie mein Leben entscheidend verändern sollte. Wobei ich noch nicht ahnen konnte, wie entscheidend.
3
Endlich kam sie. Die Ärztin. Die deutsche Ärztin in Taiwan. Wie man sagt: Endlich ist Sommer. Denn in der Tat glich ihr Gesicht einem warmen Tag, der zuvor in den Wetternachrichten als verregnet angekündigt worden war. Anders gesagt, ich begriff mit einemmal das Glück, das mir beschert war, indem ich auf die Straße getreten, von einem explodierenden Wal erwischt und in dieses Krankenhauszimmer gelangt war, um schlußendlich in ein solches Gesicht schauen zu dürfen. Ein Gesicht, als hätte eines dieser französischen Malergenies eine letzte vollkommene Zeichnung hinterlassen, die sich zauberischerweise in 3- D verwandelt hatte. Ja, diese Frau wirkte auf mich sehr viel mehr französisch als deutsch. Kein roher Kirchner oder saftiger Beckmann, sondern ein Matisse aus ein paar Bleistiftstrichen, die bewiesen, wie sehr auch Schönheit eine Formel besitzt.
Gut, ich will nicht ausschließen, daß sich in meinem Schädel einige Regale verschoben hatten, weil ein Schwärmer war ich doch nie gewesen. Dennoch war ich jetzt so gänzlich auf diese Mimik konzentriert, auf die Bewegungen der Lippen und gar nicht auf die ärztliche Diagnose, die zwischen diesen Lippen hervordrang und beschrieb, was mit mir, was vor allem mit meinem Kopf geschehen war, und wie froh ich sein dürfe, nach zwei Tagen wieder aus dem Koma erwacht zu sein. Ich vernahm Begriffe wie »Schädel-Hirn-Trauma«, »Hirnstammreflex«, » EEG « und »Pupillenbewegung«, blieb aber recht gleichgültig dagegen – nur beim Begriff »Gehirnblutung« zuckte ich kurz zusammen. Aber wirklich nur kurz. Eher so, wie man bemerkt, sich in die Fingerkuppe geschnitten zu haben, und gleich darauf denkt: »Na, ich werd schon nicht verbluten.«
Wie auch immer, ich war in diesem Augenblick sehr viel mehr auf die Sprecherin als auf das Gesprochene konzentriert. Wobei die Stimme der Frau lange nicht so anziehend wirkte wie ihr Gesicht. Ohne darum behaupten zu wollen, sie hätte eine Reibeisenstimme besessen; weder krächzte sie, noch würgte sie die Wörter hervor, aber es war eben kein Vergleich . Vielleicht könnte man auch sagen: Zu so einem Gesicht gibt es gar keine Stimme. So ein Gesicht kann nicht in eine Stimme übersetzt werden.
Klar, das ist pathetisch. Aber mein ganzer Zustand war pathetisch. Zuerst lächerlich, siehe Walexplosion, und dann pathetisch, indem ich nicht vom Antlitz dieser Ärztin lassen konnte. Und wenn, dann nur, um mir auch den Rest anzusehen: einen mittelgroßen, sehr geraden, kompakten Körper, einen strengen Körper, nicht streng im Sadomasosinn, sondern lehrerinnenhaft, das Autoritäre mit der Autorität verbindend. Ihre Hände steckten tief in den Taschen ihres Ärztekittels. Unter dem knielangen beigen Rock weißbestrumpfte schlanke Beine, die in gelben Turnschuhen fußten.
Bald kam mir der Gedanke, diese Person sei eine bloße Halluzination, eine Frau, die allein in meinem Kopf existierte, während ich mich in Wirklichkeit noch immer im Koma befand, ja, niemals wieder daraus erwachen würde. Wobei ich angesichts dieser Schönheit, die da täglich mit gelben Turnschuhen an mein Bett träte, um mich über meinen Zustand zu unterrichten, gerne bleiben wollte, wo ich war, auch wenn es sich um eine Illusion handeln mochte.
Wer wollte einen guten Traum gegen eine schlechte Wirklichkeit tauschen?
Entscheidend war, daß es mir gelang, die Frau Doktor immer länger »an mein Bett zu fesseln«, sie nach ihrem Leben in Tainan zu befragen. Mit ihr zu sprechen, als würden wir uns in einem Restaurant gegenübersitzen.
Seit
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